Hermann Kahle, Hamburger Lehrer Zeitung

Wolf-Dieter Vogel, Hoch lebe die plakative Solidarität ..., Süddeutsche Zeitung vom 28. Februar 2000 Ohne Namen, vorwärts bis zum nieder mit, Links/Rhein Medien | Konstanz
Bernd Hüttner, Contraste, Plakate autonomer Bewegungen Ohne Namen, Autonome grafik
Publishing Praxis (Ostfildern)
Ohne Namen, Vorwärts bis zum nieder mit ...
Phase 2 (Zeitschrift gegen die Realität / Leipzig)
Sonja Tammen , Unsere Zeit (Essen) Christof Meueler, Flutschige Parolen
junge Welt (Berlin)
Tobias Nagl, Visionen unkontrollierter Bewegungen, taz Hamburg
Uwe Kurzbein, Graswurzelrevolution (Heidelberg) Anne, Rezension HKS 13 , Conne Island - CEE IEH / Newsflyer (Leipzig) marius schiffer, 30 Jahre Plakate unkontrollierter Bewegungen, Bochumer Studierendenzeitung
Ohne Namen, Spirit of Resitance Ohne Namen
Silberfisch Stadtmagazin Magdeburg
Joachim Schneider, Das Poster zum Kampf
Freiburg
Michael Krämer, 20 Jahre Plakate autonomer Bewegungen, Lateinamerika Nachrichten (Berlin) cg, Agit - P(r)op / Wie ist es in diesen unpolitischen Zeiten ums politische Plakat bestellt? PAGE (Hamburg) Michael Gassmann, Der Kampf der Schönheit mit der Politik / Die BRD und ihr Protestplakat / FAZ
ak - analyse & kritik, Gespräch mit Kerstin Brandes und Sebastian Haunss über das Buch "hoch die kampf dem", (Hamburg) Gottfried Oy, Drucken, Klauen, Kleben ...Eine Kulturgeschichte politischer Plakate / Frankfurter Rundschau Klaus Viehmann, Anplacken!
in Freitag / Berlin
Hagen Sechshundert Plakate, Gegenwind (Kiel) Ohne Namen , ...Die Neuauflage des Plakatbuches ist nicht nur ein quantitativer Fortschritt / CEE IEHNewsflyer (Leipzig)
Jochen Knoblauch, Contraste (Heidelberg) Patrick Hagen, Unkontrollierte Plakate
philtrat (Köln)
Jochen Knoblauch Interview mit Klaus Viehmann Den Mauern einen Sinn geben Lena Schwarzkopf, Vorwärts bis zum nieder mit, kassiber 49 (Bremen)
Interview von Jochen Koblauch mit Tommi Krippner, Von zahmen und wilden Vögeln Martin Raasch (raa) ...
in UnAufgefordert (StudentInnenzeitung der Humboldt-Uni Berlin)
Arranca LAYOUT-Crew, HKS 13 (Hg) Hoch die Kampf dem (Berlin) Michael Schäfer, Marx, Engels und Lenin selbdritt /Göttinger Tageblatt

Hermann Kahle
Rezension in der hlz (Hamburger Lehrer Zeitung) Nr. 12 / 1999, S. 28

Auch wer die letzten 30 Jahre politisch eher verschlafen hat, war mit einer Äußerungsform der politischen Bewegungen ständig konfrontiert: Dem politischen Plakat. Die Herausgeber des Buches "hoch die kampf dem" schreiben es so: "Mit den neuen politischen Bewegungen entwickelte sich eine völlig neue Plakatkultur".
Die Anzahl der Plakate vervielfältigte sich mit den Anlässen, für die sie mobilisierten ... Die vielen politischen Plakate waren neben Werbung und Konzertankündigungen aus den Innenstädten nicht mehr wegzudenken und alte Fotos aus den 50er und 60er Jahren, die die leeren Wände der Städte zeigen, wirken heute seltsam fremd." Das vorliegende Buch ist eine historische Dokumentation über einen Bereich der jüngsten Geschichte, der so umfassend und kritisch kommentiert bisher nicht dargestellt wurde. Die Herausgeber fassen den Begriff der undogmatischen linken Bewegungen sehr weit, die Kapitel nach denen die Sammlung gegliedert ist, reichen von der Anti-AKW-Bewegung bis zur Solidaritätsbewegung mit den politischen Gefangenen. Die Reproduktionen - und das ist Empfehlung Nr. 1. Für dieses Buch - sind ausgezeichnet. Die einzelnen Kapitel werden von verschiedenen Autoren durchaus unterschiedlich kommentiert..
Die Herausgeber weisen auf die Problematik der Teilbereichsbornierheit dieser Politikbetrachtungsweise hin. Das bringt den Beiträgen andererseits aber auch hohe Authentizität. Die Beiträge sind selbstkritisch und häufig hochaktuell. (Und das ist Empfehlung Nr. 2.) Die Herausgeber schreiben in ihrer Einleitung im Abschnitt Plakat und Buch: "Eine (nachträgliche) Reflexion eines Abschnitts dieser Geschichte autonomer und linksradikaler Bewegungen, deren teil wir waren und bleiben wollen", ist der erste Zweck dieses Buches. Hat es auch einen >romantischen Gebrauchswert<?. Natürlich. Vor allem ist es ein schönes Geschenk für alle, die nichts an den Weihnachtsmann glauben.
zum Anfang

Bild Bild Bild

Bernd Hüttner
Plakate autonomer Bewegungen"
in Contraste vom Nr. 183 / Dezember 1999

Die Autonomen sind vorbei, sie sind zum Bestandteil der Geschichte sozialer Bewegungen geworden. Seit einigen Jahren ist (deshalb?) ein Boom an Geschichtsliteratur zu den Autonomen zu verzeichnen, der dem einschlägigen Marktsegment einige Bände mit Dokumenten (etwa der Revolutionären Zellen oder RAF) und Geschichtsbücher (zur Geschichte der Autonomen, aber auch zu der der Anti-AKW-Bewegung) beschert hat. Mit "hoch die kampf dem" liegt nun einen beeindruckende und schön aufgemachte Dokumentation über Plakate linksradikaler und autonomer Bewegungen aus über zwei Jahrzehnten vor. Plakate einzelner Teilbereichsbewegungen, wie etwa Häuserkampf-, Internationalismus-, Anti-AKW- oder Antifabewegung werden abgedruckt, kommentiert und als ein in Einschränkungen brauchbares Spiegelbild dieser Bewegungen (und ihrer Veränderungen) verstanden. Des weiteren werden die Plakate politischer Strömungen. Wie etwa die an der RAF orientierten und heute fast ausgestorbenen Antiimps oder zu bestimmten Anlässen, wie etwa dem (revolutionären) 1. Mai dokumentiert. Vertiefungen gibt es an der auffallend häufigen Verwendung von Kindern als Motiv auf autonomen Plakaten und zur grundsätzlichen Wirkung und Wahrnehmung von Plakaten und ihrer Produktion.
Das Buch ist durchgehend vierfarbig gedruckt und es ist nett darin zu blättern. Die einzelnen jeweils von verschiedenen Autorinnen verfassten Kapitel sind aber von unterschiedlicher Qualität: Einige wirken etwas lieblos heruntergeschrieben (etwa der Beitrag zu antimilitaristischen Plakaten) während andere ausführlich auf die Problematiken der betroffenen Bevölkerung eingehen. Der Beitrag der Internationalismusbewegung diskutiert z.B. sehr selbstkritisch die einfache Weltsicht dieser Bewegung und auch ihre Projektion der hier nicht aktuellen Revolution nach Mittelamerika. Die Plakate der autonomen Frauen-Lesbenbewegung vollziehen den Verfall des kollektiven Subjekts "die Frau"" das sich nach der Rassismus- und Differenzdebatte "auflöste" nach. Insgesamt ist das Buch ein Bilderbuch im engeren Sinne des Wortes, mensch nimmt es nach der Lektüre kaum noch mal zur Hand "arbeiten" lässt sich mit ihm nicht.
Das bei älteren unwillkürlich auftretende Schwelgen in Erinnerungen beim betrachten der Plakate verbleibt aber privatistischer Konsum und animiert nicht zur Kritik der Verhältnisse. Der Grundtenor des Buches, was seine Kritik an der Bildpolitik historischer autonomer Bewegung angeht, hat einen schalen Beigeschmack. Das eingeschränkte symbolische Repertoire der autonomen Antifa und anderer (Faust, Stern, Fahne ...) zu kritisieren, ist nicht besonders neu. Heute schlauer zu sein als sagen wir 1986 oder auch 1990, ist wahrlich keine Kunst. Hinterher ist man immer schlauer. Interessant ist doch, welche Schlüsse daraus zu ziehen sind. Jenseits dessen, dass sich einige autonome Plakatgestalterinnen mittlerweile in Internet-Design, visueller Kommunikation oder anderweitig als Bestandteil des Medienkapitalismus selbständig gemacht haben dürften und ihre Brötchen verdienen, herrscht zu den politischen Perspektiven auch im Buch gähnende Leere.
Dem Band ist eine CD-Rom beigelegt, die fast 3.000 Plakate enthält, die komplette Plakatsammlung des Hamburger Archivs der sozialen Bewegungen. Die Plakate können in einer Suchfunktion über Jahreszahlen, Orte, aber auch frei wählbare Stichworte abgefragt werden. Das Suchprogramm ist relativ simple zu bedienen und braucht als Systemvoraussetzung mindestens Windows 95.

zum Anfang

Sonja Tammen
20 Jahre Plakate der autonomen Bewegung "hoch die kampf dem"
in
unsere zeit - Zeitung der DKP vom 3. Dezember 1999


Wo sind sie hin, die Demonstrantinnen und Demonstranten autonomer Bewegungen, die scharenweise durch die Straßen ziehen gegen den imperialistischen Krieg, die Nazis und AKWs, für Frauenrechte, die politischen Gefangenen, besetzte Zentren und das Bleiberecht für MigrantInnen?
Heute sind Massendemonstrationen solcher Art fast schon Geschichte, obwohl es nach wie vor genügend Gründe gibt, auf die Straße zu gehen. Längst vergessene Plakate zeugen von früheren Demonstrationen, von Veranstaltungen, Solipartys und Diskussionen. Fast 3 000 dieser Plakate hat die Gruppe HKS 13 für das Buch "hoch die kampf dem - 20 Jahre Plakate autonomer Bewegungen" aus öffentlichen und privaten Archiven gesammelt. Rund 600 davon sind in perfekter Qualität in dem Buch abgebildet. Diese und der Rest der umfangreichen Sammlung finden sich zudem auf einer CD-ROM, die dem Buch beiliegt.

Vielfältiger Kampf für ein gerechtes Leben
Unterteilt in die verschiedenen Strömungen, die die autonomen linken Bewegungen zu bieten haben, von autonomer Frauenbewegung und Antiimps über Antifas, Antiras, Antimilitarismus und Anti-Akw, werden Plakate aus den letzten 20 Jahren gezeigt, analysiert und die Ziele der politischen Bewegungen veranschaulicht. Die meisten der Plakate kommen aus den linken Hochburgen wie Berlin, Göttingen und Hamburg. Auch aus Bremen, Frankfurt, Wuppertal und anderen westdeutschen Städten sind Exemplare vertreten, während Plakate aus Süd- und Ostdeutschland leider kaum zu finden sind. Statt dessen gibt es Highlights aus Moskau und Milano.
Zahlreiche Autoren und Autorinnen beschäftigen sich in dem Buch mit den Ausdrucksformen von Plakaten und den Absichten ihren Macherinnen. Nicht immer sind die Beiträge ausgewogen, Subjektivität ist erwünscht, und der ein oder andere Ausruf der Empörung lässt sich beim Durchlesen des Buches schwer vermeiden, wenn man selbst im einen oder anderen dieser politischen Bereiche aktiv war oder ist. Denn die in dem Buch vertretenen Sichtweisen sind (nahezu) so vielfältig wie die der politisch Aktiven. Aber eins leisten die Artikel bestimmt: Sie regen zum Denken an.

Sinn und Unsinn von Plakaten
Plakate sind die meist flüchtigen Begleiter der Bewegungen, kleben an Häusern, Stellwänden und Bauzäunen. Sie dienen der Kommunikation, der Propaganda, der Selbstdarstellung, Information und Mobilisierung. Manche kleben nur wenige Stunden, bevor sie von der Polizei oder staatstreuen Bürgern aus Gründen der Illegalität abgerissen wurden. Andere sind monatelang, verwittert und zerrissen, zu sehen.
Oft dienen die Plakate einzig der internen Mobilisierung, auch wenn sich die Herbstellerinnen dies meist anders gedacht haben. Denn für außenstehende Bürgerinnen und Bürger sind die Plakate oft unverständlich. Wenn zum xten mal zum Tag X aufgerufen wurde, alternativ auch zum Tag Z, hat Frau Meyer von nebenan sicher Verständnisprobleme. Wenn wie bei den Plakaten von Kunst und Kampf (KuK) der Antifa M aus Göttingen heroische Antifaschisten mit Helmen und männlichem Imponiergehabe gegen die Neonazis in den Kampf ziehen, hat das sowohl für Frau Meyer als auch für viele autonome Feministinnen eine eher abschreckende als mobilisierende Wirkung.

Kurze Geschichte der politischen Plakate
Die Geschichte der politischen Plakate lässt sich bis zur französischen Revolution zurückverfolgen. Damals wurden Plakate zur allgemeinen Bekanntmachung an die Hauswände der Städte geklebt. Friedrich Engels schrieb den Plakaten während der März-Revolution 1948, "die jede Straßenecke in eine große Zeitung verwandeln, in der die vorbeikommenden Arbeiter die Tagesereignisse verzeichnet und glossiert (...) und debattiert finden", die Eigenschaft zu, die "revolutionäre Leidenschaft unter den Arbeitern lebendig zu erhalten" (Friedrich Engels 1849, MEW Bd. 6, S. 440).
Produktionsbedingungen und Qualitäten diesem Jahrhundert nutzten in Deutschland bis in die 60er Jahre vor allem die Sozialdemokratie und der politische Katholizismus die großformatigen Zettel, um die Stimmen der Wählerinnen zu gewinnen. Erst mit den Studentenrevolte 1968 wurde bei parteipolitisch unabhängigen Gruppierungen an frühere revolutionäre Vorstellungen angeknüpft und zunehmend auch aus dieser linksradikalen Richtung politische Plakate hergestellt.
Die Bewegungsplakate entstanden und entstehen meist unter finanziellem und zeitlichen Druck. Geld ist immer knapp in der linken Szene, und die nächste Demo schon übermorgen. So sind die Mehrzahl der Plakate keine Kunstwerke, doch einige Gruppen wie die bereits erwähnte KuK aus Göttingen und die Gruppe Druck & Propaganda aus der Hamburger Roten Flora nutzten bei der Herstellung ihrer Plakate einen theoretischen Hintergrund, der in unterschiedlichen Ausformungen zum Ziel hat, politisch sinnvolle Plakate zu produzieren. So knüpft die Gruppe KuK mit ihren Plakaten an die linke Symbolik der 20er und 30er Jahre an. Erhobene Fäuste, Massenaufmärsche und das Logo der "Antifaschistischen Aktion" sind typische Attribute. Die Plakate von Druck & Propaganda hingegen sollen mit ihrem vordergründig oftmals unpolitisch wirkendem Layout die Betrachterinnen eher hintergründig zum Denken anregen.
In den meisten Fällen ungewollt sind die Plakate ein Spiegel ihrer Zeit. Wurde auf antiimperialistischen Plakaten zum Beispiel lange gern von "Volk" gesprochen - mal das palästinensische, mal das kurdische - scheint dies heute durch die Einflüsse der antirassistischen Bewegung (nicht nur der autonomen) und ihrer Sensibilität gegen nationalsozialistisch geprägtes völkisches Denken weitgehend marginalisiert.
Die Vielfältigkeit und Anzahl der Plakate, die an Mauern und Hauswänden zu sehen sind, hängt nicht nur von der Vielzahl von kritisch denkenden Linken ab, sondern auch davon, wie viel Mut sie aufbringen, ihre plakativen Inhalte illegal in Nacht und Nebel-Aktionen zu verkleben. So war es immer persönlich gefährlicher, Plakate für politische Gefangene und gegen Isolationshaft in der BRD zu verkleben als für Plakate gegen rassistische Politik, die oftmals auch von humanistisch geprägten Menschen nachvollziehbar ist.

Kreativer Ausblick in linke Produktivität
Das Plakatbuch ist ein liebevoll ausgesuchtes politisches Bilderbuch linksautonomer Zeitgeschichte, das politische Entwicklungen in Deutschland reflektiert. Es ist auch für interessierte Menschen lesenswert, die mehr über die weit verzweigten Strukturen der autonomen linken Bewegungen erfahren wollen. Und wer selbst noch zu den aktiven Plakatesmacherinnen zählt, bekommt in diesem Werk jede Menge Anregungen über Grafik, politische Darstellungsformen und Orte, an denen die Plakate relativ lange hängen bleiben.

zum Anfang

Uwe Kurzbein
Rezension in der Graswurzelrevolution Nr. 246 / Februar 2000

Was haben sie sich dabei gedacht, die politischen Plakate, die scharfe Waffen sein sollen, Agitation von einsamen Kleberinnen an regennassen Häuserecken in Eile schief hingepappt, unter ständiger Angst, entdeckt zu werden, mit flatterndem Herzen diese Konspiration durchlitten, diese Plakate, von Wind und Regen gegerbt, vergilbt, verdreckt, die Plakate, die allesamt Ausdruck tatkräftiger Aktionen sind, diese Plakate reinzuwaschen und als Kunstwerk in einen Katalog zu packen, sie als schöne Bilder, als Wandschmuck zu missbrauchen, legalisiert, gezähmt, die scharfen Zähne gezogen. Was haben sich die Verfasserlinnen dabei gedacht?

Mit einem Aufruf angefangen
Die Verfasserlinnen sind eine Menge Frauen und Männer, die vor längerer Zeit einen Aufruf in der Republik zu diesem Projekt gestartet haben, um möglichst viele Plakate der letzten 20 Jahre zusammenzutragen. Eines liegt bei solchen Büchern klar auf der Hand: Die Macherinnen haben mit viel Engagement die Plakate zusammengetragen und mit finanziellem Risiko dieses Buch produziert. Um es vorweg zu nehmen, das Engagement hat sich gelohnt. Als ich es in die Hand nahm, war ich sehr angenehm überrascht. Es ist handwerklich vorzüglich gemacht, sehr ansprechend, das Outfit mit Witz, die Plakate sehr fachgerecht und grafisch sehr überlegt zusammengestellt. Es sollte, schon so der erste Eindruck, in keinem eichernen Bücherschrank fehlen.
Dennoch, es ist ein typisches Szenebuch, bei dem ich allerdings den heimlichen Verdacht habe, dass es sich in den offiziellen Büchermarkt am Bahnhofskiosk hineinschlängeln soll. Es wird nicht gelingen. Ein Buch für Kämpferinnen, für Oldies und Träumerinnen, für Polizei und Verfassungsschutz. Das Buch ist nichts für Leute, die von linker Politik keine Ahnung haben, oder die mit linker politischer Geschichte nichts zu tun haben wollen, und auch nichts für Leute, vor denen ich meinen Filius immer gewarnt habe. Es ist ein Buch für Kämpferinnen, für Oldies und Träumerinnen, die sich bei den Demos die Ohren abgefroren haben, für Leute, die Plakate machen, denn sie können hier vieles lernen. Es ist auch ein Buch für die Polizei und den Verfassungsschutz, weil sie hier eine gute Übersicht über linke politische Propaganda bekommen, ein Nachschlagewerk gewissermaßen. (Wenn sie nicht ohnehin besser informiert sind.) Es ist ein Buch für die Ossis, damit sie sehen können, wie der politische Widerstand im Westen den Kapitalismus und andere Sachen bekämpft hat. Gab es denn eigentlich keine Ost-Plakate während der Revolution? Egal, es ist ein Westbuch.

Hoch die Tassen, Kampf der Arbeit
Jetzt aber näheres zu dem Buch! Die äußere Aufmachung ist gewichtig, und deutet auf einen wichtigen Inhalt. Nun 20 Jahre Plakate auf einem Haufen wiegen einiges. Im doppelten Sinn. Der Einband ist fest und hart. Mit seinem ungewöhnlichen Format steht es weit aus meiner Bücherreihe heraus, womit ich meine, dass die Verfasserlinnen schon möchten, dass ihr Werk an einem zentralen
Platz steht, auf einem Altar gewissermaßen, meinem politischen, auf dem sich bereits einige Granit-Pflastersteine, rote Fahnen, mein schwarzer Helm und anders Zeug angesammelt hat. Mein Museum. Das ist dieses Buch in erster Linie, bevor anderes zum Vorschein kommt. Der Titel deutet auf längst Vergangenes hin und soll eigene Erinnerungen assoziieren: "Hoch die, Kampf dem". Bei mir ist gleich ganz unpcmäßig gekommen: hoch die Tassen, Kampf der Arbeit, womit ich mich in die Schlange der auf vielen Plakaten inhaltlich wirklich blöden und nicht zu Ende gedachten Parolen einreihe.
Der Titel ist die erste Prüfung der Käuferin, denn sie entlarvt sich mit der ihr kommenden Assoziation und darf sich auf die Schulter klopfen: "Ja wir damals, weiß Du noch", oder sich schämen, so wie ich, der ersteinmal ans Feiern und Faulenzen denkt. Die Verfasserlinnen haben sicherlich mehr die Assoziation im Sinn: Hoch die Fahne, Kampf dem Kapitalismus, oder Hoch die internationale Solidarität, Kampf dem Imperialismus. Der eine so. Die andere so, mit dieser ersten politischen Selbstbestimmung darf das Buch getrost, beruhigt aufgeschlagen werden.

Die Plakate sind nach Themen gegliedert, die jeweils mit einem kommentierenden, kritischen oder auch weiterführenden Text versehen sind. Diese Aufteilung entspricht etwa dem "Teilbewußtsein", des sogenannten teilpolitischen Widerstandes: Antifaschismus, AKW-Widerstand, Freiheit für alle politischen Gefangenen. Solidarität mit den Befreiungsbewegungen in der Welt, Frauenkampf und Häuserkampf, Antirassismus, Landebahn West und was es sonst noch alles gibt. Damit wird meines Erachtens auf ein Problem der politischen Szene hingewiesen, nämlich sich nicht als Ganzes zu begreifen, als autonomer, freiheitlich denkender Mensch, der ganzheitlich Widerstand leistet. Um diesen Gedanken weiterzuführen, muß er nicht den Widerstand als das erkennen, was er ist, nämlich Reaktion auf bestehende Verhältnisse.
So kommt er nicht in Versuchung, eigene, weiterreichende Visionen zu entwickeln und leben zu müssen. Ich hätte von dieser Sortierung abgeraten, und eher versucht, chronologisch die Bilder den Ereignissen zuzuordnen und nicht umgekehrt, wie die Verfasserinnen es gemacht haben. Wer sich die Mühe macht, die Autorinnen durchzusehen, wird erfreut feststellen, dass entsprechend dem pc- Mainstream wesentlich mehr Frauen zum Zuge kommen als Männer.

Es ist ein Stadtbuch
Es ist ein Stadtbuch. Ich lebe seit 1980 auf dem Lande. Mir sind deshalb allerhöchstens eine Handvoll der Plakate zu Gesicht gekommen und die, die wir auf dem Lande verklebt und gemacht haben, fehlen, auch deshalb, weil für mich das Plakat nach der Aktion in den Archivordner kam, und der mittlerweile verstaubt irgendwo im Keller liegt. Die Landplakate hatten stets auch nur eine einfache Bedeutung, nämlich zu einer Aktion aufzurufen, und nicht, wie es doch auch in dem Buch beschrieben ist, eine Grenzziehung, eine Markierung des eigenen Kiezterrains zu sein, gewissermaßen so, wie ein Hund überall hinpinkelt. Wer wissen will, was politisch auf dem Lande abgeht, sollte sich das Kommunebuch kaufen, was ich übrigens sehr empfehlen möchte. Aufgrund dieser Entscheidung, die Plakate zu Themen zusammen zuordnen, ist eine Chronologie schwer zu erkennen. Aber das wäre sicherlich auch nur für die analytischen Kunstkritikerinnen interessant, nämlich herauszufinden, wie sich die Plakatkultur, die Bedeutung im Laufe der Zeit verändert hat. Im ersten Artikel wird dem nachgegangen, ein wichtiger und interessanter Einschub, Es ist ein Bilderbuch, und beim ersten Durchblättern scheinen die Bilder, nämlich die Plakate kein Ende zu nehmen. Es regt daher an, das Buch vor dem Schlafengehen aufzuschlagen, sich ein Plakat zu nehmen, das wegen der hier gezeigten "Verortung" gar kein Plakat mehr ist, und in seinen Erinnerungen träumend zu schwelgen. Das werden sicherlich auch viele tun, anders ist das Buch auch gar nicht zu bewältigen.

Geschichten, Berichte, Aufsätze
Allerdings sind in dem Buch ja nicht nur Plakate abgebildet, sondern auch Geschichten, Berichte, Aufsätze zu den Inhalten, zu der Herstellung, zu den Diskussionen. Und diese Aufsätze sind meines Erachtens das Wichtige an dem Buch. Sie vermitteln einen Einblick in die Stadtszenerie, der das Buch auch für mich auf dem platten Lande interessant macht. Schade, dass der Text kleingedruckt ist, denn durch den sehr untergewichtig dargestellten Text, braucht es wirklich erst einmal Neugier, sich hier hineinzulesen. Fast alle Texte gehen auf die Geschichte der Teilbewegung ein und beschreiben die gezeigten Plakate. Das geschieht in der üblichen, politischen verklärten Insidersprache, die mich oft in schieres Staunen versetzt. Sie haben auch nicht den Anspruch, von allen verstanden werden zu müssen. Sie sind sehr nüchtern. Ich hatte fast den Eindruck, als wären es notwendige Anhängsel, Schulaufsätze gewissermaßen, denen anzusehen ist, dass sie nicht mit Freude geschrieben wurden. Einige ragen jedoch heraus.
Das eine ist das Gespräch von Conni und Ela, das ich sehr unterhaltsam, spannend und anregend finde. Später habe ich gemerkt, dass das Gespräch gestellt war und "Conni und Ela" der Name einer Autorin ist. Dieser literarische Gag sei erlaubt, hat er mich doch erfolgreich hinters Licht geführt. Gefreut hat mich, dass einige sich darangemacht haben, die Plakate und die Slogans kritisch zu hinterfragen. Klaus Viehmann hat das in seinem Aufsatz: "Fäuste, Fahnen Blumentöpfe" sehr anschaulich getan, und mir oft aus dem Herzen gesprochen. Mir wäre es lieber gewesen, wenn die Verfasserlinnen in ihren Aufsätzen nicht die Plakate beschrieben hätten, denn Bildbeschreibungen bringen keine Spannung in das Buch. sondern die den Plakaten anhaftenden persönliche Geschichten, Erlebnisse, Ängste und Freuden, Nöte, Ärger beigebracht hätten. Solche Bücher müssen, sollen sie denn mehr sein als Kataloge oder Altar-Ikonen, lebendig werden. Das abgebildete Plakat ist nicht mehr als plakative Kunst, mit wissenschaftlicher Phantasie der Betrachterin kann es analysiert und mit Tiefe ausgestattet werden, aber die Geschichten, die sich um jedes Plakat winden, hauchen ihm Leben ein. Wenn ich an meine Plakatsaison in meinem Leben denke, dann rankt sich eine Story an die andere. Schade, dass es in dieser Hinsicht, wie gesagt bis auf wenige, zu denen ich auch die Geschichte um die Rote Flora zähle, geblieben ist. Das Entscheidende waren für die Sammlerinnen die Plakate, zweifellos, dazu hatten sie vorher aufgerufen, und ich meine, es ist ihnen auch gelungen haufenweise zusammenzutragen. Die, die nicht im Buch abgedruckt wurden, lassen sich von der beigelegten CD betrachten und macht das ganze Unternehmen auch so zu einem Lexikon, zu einem Fundus, auf den zurückzugreifen zu vielen Gelegenheiten sinnvoll ist. Was auch immer meine Kolleginnen Rezensentinnen sagen mögen: Das Buch ist der Beweis für eine lebendige alternative Stadtkultur. Das wichtigste, was mir dieses Buch deutlich gemacht hat, ist, dass Plakate mit ihrer Agitationsabsicht und mit den verwendeten Symbolen und Farben eher die Gefühle ansprechen sollen als den Intellekt, den Grips, den Verstand. Symbole sind Botschaften an das Unterbewußte. Und das Unterbewußte ist in politischen Strömungen und Bewegungen stets eine gefährliche Angelegenheit. Natürlich muss in der Politik auch Platz für Gefühle sein, andererseits ist für die politische Analyse und für den Widerstand auf den Verstand nicht zu verzichten. Wenn ich mir politische Plakate wünsche, dann müssten sie in erster Linie ausführlich informieren und auch von Frauen und Männern zu verstehen sein, die in dem pc- Mainstream nicht zu Hause sind. Wenn ich noch einen Wunsch frei hätte: Sie sollten der intelligente Ausdruck einer Szene sein, die von sich sagt, sie sei links politisch. Ich kann mich noch an einen Ausdruck meiner Freundin erinnern, die vorwurfsvoll auf einen riesigen Schriftzug der Antifa in Göttingen hinwies: "Krieg dem Krieg" und sie kopfschüttelnd meinte, daß sei inhaltlich Unsinn. Mobilisierungsmethoden lassen sich über das Internet heutzutage wesentlich effektiver gestalten als mit dem Plakat.

Ende des Agitationsplakats?
So meine ich, wird das traditionelle politische Agitationsplakat wenn nicht abgelöst, so doch eine andere Bedeutung erlangen, wie zum Beispiel als politisches Bekenntnis in der WG-Küche, oder, wie erwähnt als Grenzziehung des Kiezterritoriums. Aber dennoch: Ein Schacht Konrad Plakat, oder ein Tag X Plakat an einem ICE oder an die Polizeiwache geklebt, wird immer Freude verbreiten: Es gibt sie doch noch, die illegal geklebten Plakate, auch außerhalb des Quartiers. (Und wie ich gerade höre, boomt es gerade gehörig!) In diesem Sinne, solange der Vorrat reicht.

zum Anfang

 

Ohne Namen
Spirit of Resitance, Hamburg 2000

"...es ist aber hauptsächlich das Plakat, welches die Agitatoren verwenden. Das Plakat macht mehr von sich reden, es macht mehr Propaganda als das Pamphlet oder eine Broschüre. Deshalb erscheinen die Plakate gedruckt oder geschrieben, jedes Mal an den Mauern, wenn immer sich etwas ereignet, das die große Masse der Bevölkerung interessiert." (S. 160-161) Diese Wertung von Pietr Kropotkin über die Wirkung von Plakaten im letzten Jahrhundert muß in der heutigen Mediengesellschaft sicher differenzierter gesehen werden. Aber nichtsdestotrotz nutzen die politischen Bewegungen, die von den Autorinnen des Bandes "Hoch die Kampf dem" unter dem Label "autonome Bewegungen" geführt werden, Plakate als eine der signifikanten Formen der Binnen- wie der Außenkommunikation. In Zeiten der Reflexion und historisierenden Betrachtungen über die Geschichte der Linken in der BRD erscheint es daher wenig überraschend, dass nun eine Gesamtschau von Plakaten seit Ende der 70er Jahre vorliegt.
Allerdings handelt es sich hierbei glücklicherweise nicht um eine wissenschaftliche verbrämte Denunziation linker Geschichte oder ein beharrlich-nervige Darstellung "unserer Geschichte", sondern um eine von "mehr-oder-weniger"-AktivistInnen verfasste Rückschau, die bis Ende der 90er Jahre reicht. Wie in der Einleitung hervorgehoben, ist die Flüchtigkeit, das politische Handgemenge, aus der viele Plakate entstanden sind, sicher zu berücksichtigen, wenn Plakate analysiert werden sollen. Aber "zumindest Zeit können wir uns nehmen, diese Plakate noch einmal anzusehen - gerade weil wir politischen Bewegungsplakaten den Anspruch unterstellen, mit Hilfe politischer, grafischer und ästhetischer Konfrontation für Veränderung und letztlich Befreiung einzutreten, müssen sie politische gelesen und gedeutet werden."(S. 16)
Ein weiteres Motiv für das Buch war ein Ärgernis: 1997 wurde aus Kreisen der Antifa-M in Göttingen ein teures Plakatbuch veröffentlicht, welches die im Laufe der Jahre erschienenen Antifa-Plakate dieser Gruppe dokumentierte. Ihr holzschnittartiger Stil "Böse Nazis - Gute Autonome" mit eindeutiger Ausrichtung auf militante Aktionen ärgerte einige Leute so sehr, dass sie beschlossen, sich selbst der Mühe der Dokumentation und Analyse der Plakatgeschichte zuzuwenden.

"Hoch die Kampf dem" ist zum einen ein wunderbares Buch zum Anschauen. Über 600 Plakate sind farbig im Buch abgedruckt; dabei wurde nicht die bei Bildbänden verbreitete Teilung in einen Text- und einen Bildteil vorgenommen. Die Plakate sind in die Texte eingedruckt, und die jeweiligen Verweise veranschaulichen lesefreundlich die Argumentation der Autorinnen. Vertretbarer Nachteil hierbei sind die unterschiedlichen Größen der Plakate, von denen einige doch recht klein geraten sind. Als Zugabe liegt dem Buch eine CD-Rom bei, auf der das Ergebnis der Sammelwut der Herausgeberinnen - fast 3000 Plakate wurden abfotografiert - gespeichert ist. Zumindest wer über einen halbwegs tauglichen Computer verfügt, kann in einer wahren Plakatflut versinken.
Aber die reine Schaulust hätte noch einen wenig politischen Gehalt, den die Herausgeberinnen ja explizit einfordern. In siebzehn Einzelaufsätzen von unterschiedlichen Autorinnen mit auch recht unterschiedlichen Intentionen werden thematisch die Plakate einer kritischen Reflexion unterzogen.

zum Anfang
Michael Krämer
hoch die kampf dem / 20 Jahre Plakate autonomer Bewegungen
Lateinamerika Nachrichten Nr. 309 / 2000 S. 50-53

600 Plakate im Buch, 3.000 auf CD-Rom. 20 Jahre Geschichte autonomer Bewegungen anhand ihrer Plakatproduktion _ ein nostalgischer Vierfarbband für in die Jahre gekommene Politaktivistinnen? Das erste Durchblättern täuscht. "Hoch die kampf dem" ist weit mehr als nur ein Erinnerungsalbum. Es unternimmt eine selbstkritische Reflexion der Wort- und Bildersprache sowie des darin zum Ausdruck kommenden Selbstbildnisses autonomer Bewegungen in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Auch in die Plakatproduktion der Solidaritätsbewegung bietet es interessante Einblicke.
"Es ist aber hauptsächlich das Plakat, welches die Agitatoren verwenden", wusste schon Kropotkin. "Das Plakat macht mehr von sich reden, es macht mehr Propaganda als das Pamphlet oder eine Broschüre. Deshalb erscheinen die Plakate, gedruckt oder geschrieben, jedes Mal an den Mauern, wann immer sich etwas ereignet, das die große Masse der Bevölkerung interessiert. Heute herabgerissen, erscheinen sie morgen wieder, zum Ärger der Regierenden und ihrer Knechte." Der Pathos bei Kropotkin ist verständlich, schreibt er doch im Rückblick auf die französische Revolution, die _ im Gegensatz zu den vielen hierzulande immer wieder angesagten _ tatsächlich stattgefunden hat.
Ganz ohne Pathos kommen die Herausgeber in ihrer Einleitung zu dem kürzlich veröffentlichten Buch "hoch die kampf dem" aus. Nüchtern stellen sie in ihrer Geschichte der Plakate autonomer Bewegungen in den letzten 20 Jahren fest: "Politische Plakate (...) kommunizieren Politik nach außen in die Gesellschaft und dienen der Selbstverständigung, sind kostenfreie Literatur." Die Buchform lässt ein genaues Hinsehen zu und ermöglicht so interessante Einblicke in und Erkenntnisse über eben diese Politik und die Binnenkommunikation in den verschiedenen Phasen und Teilbereichen autonomer linker Politik. Erkenntnisse nicht nur über die objektiven politischen Ziele, sondern auch die subjektiven Befindlichkeiten der Akteure: "Die Bilder", so die Herausgeber, "mit denen Plakate arbeiten, um plakativ zu sein, spiegeln oft in besonderer Weise Ängste, Begehren und Wünsche der Aktivistinnen wider."
Die begleitenden Artikel sind weit mehr als nur Untermalung für die Plakate. Die Autorinnen schreiben nicht abstrakt über "ihr" Thema. Sie waren allesamt in unterschiedlicher Weise an den verschiedenen Bewegungen beteiligt und liefern meist (selbst-)kritische Analysen autonomer und linker Wort- und Bildersprache. So wird an der Bildauswahl der Frauenbewegung kritisiert, was auch für andere Bereiche gilt: "Die verwendeten Frauendarstellungen wirken vor allem als Projektionsflaeche ïeigenerï Fantasien und Wunschvorstellungen, die exterritorialisert sind und am Bild ïder anderen Frauenï ausgespielt werden."

Die Plakate der Solidaritätsbewegung
Besonders ausgeprägt ist die Bezugnahme auf "die Anderen" verständlicherweise in der Solidaritätsbewegung. "Die Anderen" waren meist Revolutionäre, in einem Kampf, in dem dieses oft recht abstrakt bleibende Wort "Revolution" viel konkreter und realer war, als im eigenem Land, in dem man nur eine ziemlich kleine Minderheit bildete. Nicht zufällig stehen Nicaragua und El Salvador im Mittelpunkt des Kapitels über die Plakate der Solidaritätsbewegung. Beide Länder übten in den achtziger Jahren eine enorme Attraktion auf die bundesdeutsche Linke aus - in Nicaragua hatte die Revolution gesiegt, in El Salvador stand sie scheinbar kurz bevor.
Der Selbstverständigungsprozess über diese eigene Geschichte steht im Mittelpunkt des dieses Kapitel begleitenden Artikels. Zur subjektiven Befindlichkeit der Aktivistinnen der Nicaragua-Solidarität schreiben die Autorinnen: "Während die Politik in der BRD oft von Ohnmachterfahrungen und Entfremdungserlebnissen geprägt war, empfanden sie als BrigadistInnen in Nicaragua oft das genaue Gegenteil. Alle Menschen schienen zufrieden und aufgeschlossen. (...) Die Entwicklung Nicaraguas wurde als Projektionsfeld für sich erfüllende Ideale und für unerreichbar scheinende Ziele im eigenen Land funktionalisiert."
"No pasaran" _ sie kommen nicht durch. Wer sich in und für Nicaragua engagierte, konnte sich ganz konkret dem US-Imperialismus entgegenstellen. In der Selbstwahrnehmung und damit verbunden - siehe die Plakatproduktion - der Außendarstellung der SoliaktivistInnen verschwamm der Unterschied zwischen den sandinistischen Milizionären und Soldatinnen, die im Contra-Krieg ihren Kopf hinhalten mussten, und den deutschen Kaffeepflückerinnen und Flugblattverteilerinnen allerdings enorm. Das Plakat in der WG schuf die Verbindung zum lächelnden Milizionär mit AK-47, Antiimperialismus am Küchentisch.
"Gleich mehrere Plakate finden sich, auf denen immer das gleiche Bild verwendet wird. Es zeigt Guerilleros (tatsächlich ist ganz am Rand nur eine einzige Frau zu sehen), die in dynamischer Siegerpose und -laune mit Fahne und Gewehr vorwärts stürmen. Der Ursprung des verwendeten Bildes ist den Plakatmacherinnen nicht wichtig, es wird für den jeweils eingesetzten Zweck verändert. Mal erscheint das Signum FSLN, mal das der FMLN. Wichtig ist nur die allgemeine Aussage des Bildes: begeisterte und aufrechte Kämpfer, wissend, was sie wollen, zum weiteren Kampf bereit. Genau so, wie sich der aufrechte Solibewegte gerne selbst imaginiert hat." Die beiden Autorinnen haben recht, wenn sie die Revolutionsromantik und das Ausblenden von Widersprüchen in den Plakaten der Solidaritätsbewegung hinterfragen, Waffenfetischismus, Machogehabe und die Identifikation mit den Fahnen der Revolutionäre kritisieren. (zumal eine Fahne hier, wenn Schwarz-Rot-Gold, gerade mal zum Abfackeln bei Demos Verwendung findet)
Eloquent kritisieren sie Plakat für Plakat. Und doch bleibt die Analyse manchmal unbefriedigend, erscheint stellenweise aus der besserwisserischen Perspektive der Nachrevolutionszeit geschrieben. Die Dynamik der Kämpfe in den 80er Jahren war eine ganz andere als heute. Es war Krieg, in Nicaragua ging es um die Verteidigung der Revolution und in El Salvador um die bewaffnete Machtergreifung. Beides war kein Selbstzweck, Waffen waren - das darf trotz aller enttäuschten Hoffnungen (hier wie dort) nicht vergessen werden - auch ein Instrument der Emanzipation.
Auch fehlt die Reflexion darüber, dass Plakate nur begrenzten Platz für Wort und Bild bieten, Vereinfachung manchmal notwendig und auch längst nicht immer falsch ist. So wird bemängelt, dass auf vielen Plakaten zwar jede Menge Gewehre zu finden sind, schweres militärisches Gerät aber nur "zur Illustration der Brutalität des US-Imperialismus herangezogen" wird. Das kritisierte Plakat fordert den Stop der US-Intervention in Mittelamerika und zeigt US-Militärs, die mit Sternenbanner von einem Landungsboot marschieren. Ja und? Genau diese Gefahr war äußerst real (wie Grenada bewiesen hat) und die Yankees hatten im Gegensatz beispielsweise zur FMLN nun mal jede Menge schweres militärisches Gerät. Das Plakat vereinfacht, ist aber trotzdem richtig. Oder war (und ist) der US-Imperialismus etwa nicht brutal?
Zu Recht wird das stereotype Geschlechterbild bei einigen Plakaten kritisiert. Frauen sollen der "Revolution ein sympathisches Gesicht geben, sie attraktiv machen, letztlich erotisieren." (Was allerdings genauso für einen Teil der abgebildeten Männer gilt) Andererseits wurden Frauen auf einigen Plakaten weggelassen, "wenn es um die Darstellung von Entschlossenheit und Kampfbereitschaft geht. (...) Der Widerstand, mit dem wir (also auch Frauen) uns solidarisieren sollen, besteht offensichtlich nur aus Männern."
Ist der von den Autorinnen vorgenommene Umkehrschluss jedoch richtig, dass ein Plakat grundsätzlich "männerbündlerisch" ist, wenn keine Frauen abgebildet werden _ es ging konkret um ein Plakat, das im Vorfeld der Fussball-WM (der Männer) entstand oder verfallen sie hier selbst in eine Vereinfachung, die sie sonst ablehnen: "Das ironische und eigentlich ganz witzige Plakat der Chiapas-Solidarität von 1998 "Unser Team für die WM - Unterstützt die EZLN" setzt in dieser Hinsicht noch eins drauf: männerbündlerisch wirbt es mit den Aktivisten selbst für die gerechte Sache."
"Hoch die kampf dem" ist ein interessantes und auch schönes Buch geworden. Ein Buch voller Geschichte und Geschichten, weit mehr als ein Erinnerungsalbum. Der Versuch, einen Beitrag zur Reflexion linker autonomer Politik zu unternehmen, ist gelungen. Es bleibt zu hoffen, das auch ein anderes Ziel, das sich die Herausgeber gesetzt haben, erreicht wird: "Vielleicht kann es den Aktivistinnen der Heute und Morgen als Anregung dienen und trägt dazu Bei, sich bei der Herstellung und Verbreitung von Plakaten noch mehr als bisher nicht nur um den Text, sondern auch um die Wirkung von Grafik und Bildern Gedanken zu machen." Den Verlagen Libertäre Assoziation und Schwarze Risse/Rote Strasse ist auf jeden Fall zu danken, dass sie das aufwendig gemachte Buch ermöglicht haben und für 39,80 DM zudem äußerst günstig anbieten.

zum Anfang

Gespräch mit Kerstin Brandes und Sebastian Haunss
Hoch die Reflexion - Kampf der Plattheit
in ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 435 / 17.02.200

Ein absolutes Highlight auf dem linken Büchermarkt und fast schon ein Muss ist das von HKS 13 herausgegebene Buch "hoch die kampf dem - 20 Jahre Plakate autonomer Bewegungen". HKS 13 steht für die "immer wieder gerne benutzte leuchtende rote Druckfarbe"; hinter dem Farbkürzel verbergen sich die Herausgeber Sebastian Haunnss, Markus Mohr und Klaus Viehmann, die in Zusammenarbeit mit vielen anderen dieses bisher einzigartige Buch produziert haben. Bewundernswert ist das verlegerische Risiko, dass der Verlag Libertäre Assoziation und der Verlag der Buchläden Schwarze Risse - Rote Straße eingegangen sind, ein solch aufwendig produziertes Buch inklusive einer CD-ROM für 39,80 DM auf den Markt zu bringen. 600 Plakate der unterschiedlichsten sozialen Bewegungen (Häuserkampf-, FrauenLesben-, Internationalismus-, Anti-AKW und noch einige mehr) sind im Buch abgebildet. Im Mittelpunkt stehen logischerweise die Plakate und das Verhältnis der politisch Aktiven zu diesem, doch oftmals unterschätzten Medium. Wir sprachen in Hamburg mit Kerstin Brandes, Kunstwissenschaftlerin und Autorin des Buchbeitrages über die Plakate der autonomen FrauenLesben-Bewegung, und Sebastian Haunss. Das Gespräch für ak führten at. und gw.

at.: Wie seid ihr auf die Idee gekommen ein Plakatebuch herauszugeben? Gab es Plakat-Liebhaber, die über eine große Sammlung von Plakaten verfügen? Dir, Sebastian, wird nachgesagt, dass Du ein großes Plakate-Archiv hast.
Sebastian: Ich habe zwar immer mal wieder Plakate gesammelt, aber das sind nur einige wenige. Zu Stande gekommen ist das Buch, weil wir - d.h. die Herausgeber - irgendwann zusammensaßen und uns darüber wunderten, dass noch nie jemand auf die Idee gekommen ist, mit dem Material der vielen tausend politischen Plakaten der letzten 20 Jahre ein Buch zu machen. Anlass unseres Gesprächs war damals das Plakatbuch der Göttinger Antifa (M) bzw. von deren Gruppe Kunst und Kampf. Darin wird eine Vorstellung von politischer Kunst vertreten, die eine etwas modernisierte Art der 20er Jahre Ästhetik in die 90er Jahre transformiert. Wir haben uns gedacht, dass man das im Grunde so nicht stehen lassen kann, als das einzige Buch zum Thema. Dann haben wir uns umgehört, was Leute davon halten ein Buch mit Plakaten der linken Szene zu machen. Wir sind auf große Begeisterung gestoßen. Danach haben wir Archive gesichtet und gesehen, dass es genügend Material gab. Plakate sind ein total interessantes Medium.

gw: Ihr habt euch eingegrenzt auf 20 Jahre autonome Bewegung.
Sebastian: Bewegung ist nicht richtig, vorne auf dem Titel steht Bewegungen. Der Plural hat durchaus seinen Sinn. Auch wenn wir damit viele Bewegungen, die sich selber vielleicht nicht als autonome bezeichnen würden, etwas imperial zusammengefasst haben, ist uns doch wichtig, dass es Bewegungen sind, dass es nicht eine Bewegung ist, deren Plakate wir darstellen. Es ist eine Vielzahl von undogmatischen linken - ich würde durchaus sagen autonomen - Bewegungen, die es in den letzten 20 bis 30 Jahren in der BRD gab, und deren Plakat-Produktion wir betrachtet haben.

at.: Nach welchen Kriterien habt ihr denn die Plakate ausgewählt, die ihr dargestellt habt; es gibt ja sicher noch mehr als die im Buch dokumentierten?
Sebastian: Erst mal haben wir alles fotografiert, was wir gefunden haben und was im Spektrum der sozialen Bewegungen entstanden ist. Nicht aufgenommen haben wir Plakate, wo Parteinamen drunter standen. Das war unser Ausschlusskriterium.

at.: Wie viele Plakate waren das?
Sebastian: Die vollständige Sammlung ist auf der CD, die hinten im Buch drin ist. Das sind knapp 3.000 Plakate. Wir haben in kleinen Archiven gesucht, meistens inoffiziellen, und in vielen Privatsammlungen. Leider sind in den Archiven die Plakate ganz schlecht sortiert. Die größten Archive sind in Hamburg, Berlin und Stuttgart, wobei in Stuttgart das einzige staatliche Archiv, die Dokumentationsstelle für "Unkonventionelle Literatur" angesiedelt ist. Dort existiert ein großer, halbwegs systematisierter Plakatbestand. Ansonsten bestehen diese Plakatsammlungen zumeist aus einem großen Plakate-Schrank, wo die Plakate - wenn man Glück hat - grob sortiert drinliegen. Plakate werden im Gegensatz zu Zeitschriften und Flugblättern nirgends systematisch gesammelt.

at.: 20 Jahre autonome Bewegungen, das heißt natürlich auch 20 Jahre eigene Geschichte. Was ich sehr schön fand, ist diese sehr lebendige Art der Darstellung. Beim Durchblättern verfällt man häufig so ein bisschen in die Erinnerung: Ach ja, war das damals eine schöne Demo... Diese Art der "romantischen Erinnerung" ist ja bestimmt nicht das (einzige) Ziel des Buches?
Sebastian: Diesen Poesiealbum-Effekt, haben wir durchaus voraus gesehen und uns auch nicht wirklich dagegen gesträubt. Aber der hauptsächliche Zweck des Buches ist es, historisches Material wieder zugänglich zu machen, d.h. die Möglichkeit zu geben, sich mit den Vorstellungen der politischen Akteure, die diese Plakate gemacht haben, auseinander zu setzen: Was wollten sie, indem sie bestimmte Ausdrucksformen, bestimmte Bildsprachen gewählt haben? Was wollten sie erreichen, wenn sie eine bestimmte visuelle Rhetorik verwendet haben? Wir wollen das Medium Plakat dadurch auch kritisierbar machen. Unser Ziel ist es, einen Prozess mit anzuschieben, der ein Nachdenken über die visuellen Formen unterstützt. Gleichzeitig ist das Ziel eine kleine Geschichte zu schreiben, weil die Plakate - das ist der zweite Effekt des "Posiealbums" - auch eine Geschichte noch mal lebendig machen. Mehr als manche Texte spiegeln diese Plakate die Lebendigkeit der Bewegungen wider.

gw: Kerstin, du hast in deinem Beitrag auch dieses Problem angerissen, dass der Blick von heute auf die Geschichte, oft den Kontext ausblendet, in dem die Plakate gemacht wurden.
Kerstin: Es war eine Richtlinie der Herausgeber - die mich zu einem Beitrag motiviert hat, dass die Plakate ausdrücklich im Mittelpunkt stehen, also gerade nicht als Illustration für eine Erzählung der Bewegungsgeschichten sein sollten. Ein solcher Perspektivwechsel war nicht zuletzt auf Grund der Fülle des Materials eine Herausforderung. Denn natürlich geht es gar nicht anders, als die Plakate im Kontext der jeweiligen Situationen zu betrachten - was liefen für Aktionen, was war gerade Thema. Ich finde nicht, dass man die Bilder, die Plakate, nachträglich entschuldigen muss. Ich meine auch nicht, dass die alten Plakate alle "schlecht" waren und dass die neuen alle "gut" sind. Die Plakate, nehmen wir z.B. die der FrauenLesben-Bewegung, haben sich im Laufe der Zeit verändert. Da gibt es deutliche Tendenzen und die stehen auch im ganz engen Zusammenhang damit, wie politische Diskussion gerade aktuell geführt wurden. Unübersehbar ist aber auch, dass sich bei allem revolutionären Impetus immer wieder traditionelle Darstellungsmuster eingeschlichen haben und somit die Bildebene etwas bestätigt, wogegen auf der Ebene politischer Aktion opponiert wird. Davor ist z.B. auch eine FrauenLesben-Bewegung nicht gefeit. Auch nicht davor "andere Frauen" für die eigenen Ziele zu funktionalisieren. Das ist ein Muster, das wir gelernt haben. Genau darum geht es mir, dass diese Aspekte immer wieder reflektiert werden.

at.: Du hast an Hand der Plakate der autonomen FrauenLesben-Bewegung heraus gearbeitet, dass oft auf herkömmliche Repräsentationsmuster zurückgegriffen wird. Was ich auch sehr interessant fand ist, dass du auf Plakate eingegangen bis, bei denen eine parodistische Darstellung in den Plakaten (mit) enthalten ist, wie z.B. bei dem Frauenkampftag-Plakat.
Kerstin: Mir hat an dem Frauenkampftag-Plakat gefallen, dass die Frauen nicht in Kampfmontur, sondern in Sportklamotten dastehen, in lockerer Reihe. Und die roten Boxhandschuhe sind eindeutig in das Bild montiert; damit werden Assoziationen freigesetzt. Die Ironisierung des Frauenkampftags als Kampfsporttag erweitert das Bedeutungsfeld von "Kämpfen". Die parodistische "Selbst"-Darstellung macht FrauenLesben in dem Plakat sowohl im Bild wie auch im Text als Akteurinnen sichtbar und reflektiert gleichzeitig die Funktion idealisierender Frauendarstellungen. Da findet eine andere Art der Repräsentation von Frauen und Frauenbewegung statt. Das gefällt mir.

at.: Du beschreibst andererseits in deinem Beitrag, dass die Art der Frauendarstellungen oft die Fantasien der Macherinnen oder der Bewegung projiziert. Bei dem Plakat "Solidarität mit den Frauen in El Salvador" ist das Bild der Frau aus dem Kontext gerissen und transportiert nun, was es transportieren soll ...
Kerstin: Ich glaube eben nicht, dass ich aus dem Plakat das herauslese, was es vielleicht transportieren wollte. Das Plakat hat eine hehre Absicht, ein hehres Ziel. Was aber letztlich dabei rauskommt ist eine Entpersonalisierung. Dieses Frauen-Bild wird oft mit dem Bild Che Guevaras verglichen (auch in einem Beitrag des Buches). Aber im Gegensatz zu Che Guevara war diese Frau schon immer namenlos. Die "Frau" steht hier für ein Land mit dem frau/man Solidarität üben soll. Es hat Tradition, dass Bilder von Frauen für politische Belange eingesetzt werden, aus denen diese Frauen selbst herausfallen. Über dieses Muster muss man nachdenken.

at: Also ist es auch eine Zielsetzung des Buches, dass Plakate besser werden sollen?
Sebastian: Man kann es nicht nur von den Plakaten her betrachten. Es ist ja nicht das Problem, dass einzelne Plakate schlecht sind, z.B. die aus der Internationalismusbewegung, die mit sehr klassischen Frauen- und Männerbildern agieren, sondern das Problem ist, dass diese Plakate mobilisieren sollten. Plakate die sehr reflektiert sind, die eine ironische Distanz aufbauen, die eine sehr unkonventionelle Bildsprache wählen, tun genau das nicht mehr. Das ist einerseits ein Problem der Plakate, andererseits ein Problem der Bewegung, die genau durch solche platten Plakate mobilisiert wird. Also eine Internationalismusbewegung, die sich nur durch die sexy Guerilleros oder Guerillas auf den Plakaten mobilisieren lässt. Da kann man natürlich versuchen ein sehr reflektiertes Plakat zu machen, aber wenn es dann die Wirkung des Mobilisierens nicht mehr hat, dann ist es als Plakat auch sinnlos.

Kerstin: Mein Wunsch ist, dass Plakate ernster genommen werden. Damit meine ich aber gerade nicht eine normierende Bildsprache zu entwickeln, wie dies die Antifa(M) macht. Bilder funktionieren nicht als eins zu eins Übersetzung, wo das Ganze sich einfach aus der Summe der Einzelteile zusammensetzt und damit eine klare politische Aussage ergibt, die mit der Intuition kongruent geht. Mit "ernster nehmen" meine ich, die Wirkungsweise und die Eigenständigkeit einer Bild-Text-Kombination zu beachten. Genauer darauf zu achten, welche Tradition bestimmte Bilder haben, wo sie herkommen.

gw: Mir kommt dabei die Situation der PlaketeherstellerInnnen zu kurz. Weil die ja unter dem Druck der politischen Aktion stehen. Das sind doch genau die Konfliktpunkte zwischen einem wissenschaftlichen, analysierendem Blick und dem der Handelnden.
Sebastian: Der Zeitdruck ist ein wenig überzeugendes Argument, wenn ich mir anschaue, wie lange und mit welcher Akribie über die Texte der Flugblätter gestritten wird und wie wenig Zeit im Gegensatz auf die Plakate verwendet wird. Die Bewegungen haben immer das geschriebene Wort als das Zentrale angesehen und zu den Plakaten zumeist nur ein funktionales Verhältnis.

at.: Ich glaube schon, dass sich aber im Laufe der Zeit einiges geändert hat. Einerseits, weil sich die Möglichkeiten der Herstellung geändert haben und weil sich auch die Herangehensweise an und die Wahrnehmung von Bildern geändert hat.
Sebastian: Also da eine klare Entwicklungslinie zu zeichnen, halte ich für schwierig. Die technischen Möglichkeiten haben sicher dazu geführt, dass heute eine gewisse Perfektion eher möglich ist als vor 20 oder 25 Jahren. Die guten Ideen, die im Grunde ein gelungenes Plakat ausmachen, sind aber von der Technik unabhängig. Wir sind beim Durchblättern der riesigen Plakatstapel immer wieder auch auf alte Plakate gestoßen, die wir für sehr gelungen halten, die eine Bild-Text-Kombination haben, die auf eine Art zeitlos gut ist, die auch heute genau so wieder gemacht werden könnten. Genauso gibt es viele "moderne" - d.h. mit modernen Mitteln wie Computerlayout hergestellte - Plakate, die im Grunde ganz traditionell sind. Veränderungsprozesse sind aber durchaus festzustellen. Es gibt immer wieder Zeiten, in denen bestimmte Typen von Bildern in Frage gestellt werden. Ende der 90er Jahre wurde in Teilen des Antifabereichs eine gewisse Militanzfetischisierung kritisiert und es wurden andere Bilder gesucht. Bei einer Antifademo in Bremen wurde ein fliegender Blumentopf, anstelle des üblichen Motivs "den Naziaufmarsch zerschlagen" oder der Faust, verwendet. Oder, was in dem Buchbeitrag von H. Frankfurter aufgezeigt wird, dass Ende der 80er Jahre Kinder an die Stelle der Militanten getreten sind. Was H. Frankfurter dazu bringt, diese Funktionalisierung der Kinder und die Identifizierung der Bewegung mit den Kindern wieder zu kritisieren. Aber auch zu sagen, der Impuls Kinder an die Stelle der Militanten zu setzen, ist das Ergebnis einer Reflexion der vorherrschenden Bildsprache.

at.: Habt ihr unter diesen Kriterien, die ihr genannt habt, so was wie Lieblingsplakate? Beim Durchblättern sind mir Plakate wieder aufgefallen, die für mich schon eine Rolle von Lieblingsplakaten haben und zwar die, die mich am Anfang agitiert und damit politisiert haben - nämlich die Startbahn-West-Plakate. Eine Identifizierung läuft ja nicht nur über das Sehen ab. Es sind oft auch Plakate, die man selbst plakatiert hat. Das ist auch noch ein weiterer Aspekt, der bei Plakaten eine Rolle spielt, dass sie eine handelnde Funktion haben.
Kerstin: Das ist bei Lieblingsplakaten ja oft so, dass man die nicht nur gerne anguckt, sondern mit denen eine eigene Vergangenheit verbindet. Es gibt etliche Plakate die mich irgendwie ansprechen, sei es ein Bildmotiv, der Schriftzug oder der Slogan.
Sebastian: Ich fand viele der abgedruckten Plakate doch sehr gelungen. Zum Beispiel die Plakate, die zum Münchner WWG 1992 mobilisieren, gehören sicher zu den Lieblingen von mir, weil sie in einer sehr prägnanten Ästhetik eine scharfe politische Kritik mit einem sehr ironischen Blick verbinden. Was im Grunde zeigt, dass man mit einer durchaus distanzierteren Position nicht auf eine Schärfe der politischen Kritik verzichten muss.
Kerstin: Eher im Gegenteil. Dieses Plakat "Wir machen den Weg frei", eröffnet assoziativ die Komplexität der Thematik. Genau da liegt die Schärfe.

gw: Wie sind denn eure bisherigen Erfahrungen bei den Veranstaltungen, die ihr mit dem Buch gemacht habt? Mir ging es zum Beispiel bei der Veranstaltung in der Roten Flora so, dass ich mir vorkam wie bei einem alternativen WG-Dia-Abend ...
Sebastian: Mein Eindruck ist, dass das Zeigen der Bilder den Effekt des Durchblättern des Buches noch verstärkt. Die Leute schauen sich die Bilder an und sagen: "Oh das gab's damals, daran erinnere ich mich, das hab ich selbst geklebt." Dieses Bild vom WG-Dia-Abend ist ein richtiger Vergleich. Es gibt eine sehr große Unsicherheit, über diese Plakate zu reden. Die Veranstaltungen spiegeln wider, dass über das Medium Plakat bisher relativ wenig Auseinandersetzungen gelaufen sind. Die Diskussionen entzündeten sich oft genau an der Kritik der Plakate, die die zu den Veranstaltung gekommenen AltaktivistInnen zum Teil selbst gemacht haben, und die sie dann auch verteidigen.
Kerstin: Hast du den Eindruck, dass so etwas wie die Fähigkeit zur Distanzierung fehlt oder sind die Plakate immer noch zu nah an einem "eigenen Selbst"?
Sebastian: Ja das glaube ich schon. Das Verhältnis der Leute zu den Plakaten ist sehr eng, was sich auch daran zeigt, dass die Leute die Plakate in ihrer Wohnung hängen haben und diese Plakate starke Identifizierungssymbole sind. Nach wie vor ist die zentrale Intention: wie kann das Plakat am einfachsten und am besten mobilisieren. Den Plakatkritikern wird vorgeworfen mit der teilweise ästhetischen Kritik an den Plakaten den mobilisierenden Aspekt zu wenig zu berücksichtigen.

at.: Du hast gerade noch einmal den Aspekt mit den WG-Zimmern angesprochen. Früher waren Plakate Identifikations-und Streitpunkte. Zum Beispiel brach bei mir eine WG an dem "Waffen für El Salvador"-Plakat auseinander. Vielleicht hat man heute noch stärker das Gefühl mit dem Aufhängen von Plakaten außerhalb zu stehen.
Sebastian: Wahrscheinlich hat das mehr mit dem Alter zu tun. Ich glaube Plakate haben immer noch den Effekt und die Funktion eines Kunstersatzes mit Bekenntnischarakter. Sie drücken aus, "ich bin Teil dieser Bewegung, ich identifiziere mich mit den Plakaten dieser Bewegung" und in den Wohnungen jüngerer AktivistInnen - aber auch vieler Älterer - hängen nach wie vor die aktuellen Plakate an der Wand. Dass die Plakate bei uns nicht mehr hängen, hat vielleicht ja hoffnungsvoller Weise etwas damit zu tun, dass diese ein bisschen naive Identifizierung auch nicht mehr ganz so stark ist.

gw: Ist irgendwann daran gedacht das Buchthema zu erweitern?
Sebastian: Wir haben geschrieben, dass wir weiter Plakate sammeln und dass alle, die bei sich Plakate rum liegen haben, diese Plakate gerne an das Archiv in der Roten Flora schicken sollen. Dort werden sie archiviert und wir werden die Plakatsammlung in absehbarer Zeit aktualisieren. Ob das in Form einer Neuauflage des Buches mit einer aktualisierten CD geschehen wird, steht bisher in den Sternen. Eine Neuauflage des Buches ist momentan erstmal nicht finanzierbar. Das Archiv, das wir aufgebaut haben und das in seiner Größe für die parteiunabhängigen Bewegungen einmalig ist, wollen wir auf alle Fälle weiter führen.
Kerstin, Sebastian wir danken Euch für das Gespräch.

Plakate können geschickt werden an: Archiv der sozialen Bewegungen c/o Rote Flora, Schulterblatt 71 / 20357 Hamburg, Fax/Phon: 040-433007 / Veranstaltung mit den Herausgebern des Buches: Dienstag, 22.2.2000 ab 20.00 Uhr in der Zeche Carl, Wilhelm-Nieswandt-Allee 100, Essen

zum Anfang

Hagen
Sechshundert Plakate
in Gegenwind (Kiel) Nr. 140 / Mai 2000, S. 31/32

Vermutlich erstmals in der französischen Revolution in großer Menge in französischen Ballungszentren auftreten, begann das Plakat einen Sturmlauf um die Welt. Wer was zu sagen hatte, druckte (oft im Geheimen) und suchte geeignete Wände. 1855 wurde in Berlin die erste Litfaßsäule aufgestellt. Hausbesitzerinnen und Saubermänner versuchten die bunten Schnipsel mehr oder mehr an die ausgewiesenen Orte zu verbannen. Waren die Säulen Anfang des Jahrhunderts noch Orte der Kommunikation, so verkamen sie nach und nach zu Werbeflächen , wenn du was anschlagen wolltest, dann nur mit Genehmigung und Obolus. Logische Konsequenz war eine ausufernde und großflächige Tapezierei vom öffentlichen Raum Dass Hausbesitzerinnen und Stadtväter / Landvögte mit Wunschquote dies nicht gerne sahen, war klar. Mittlerweile werden Stromkäsen und andere vermeintlich werbewirksame Flächen privatisiert. Jetzt hast du neben den Häschern des Königs auch die Hanse am Arsch. So weit so schlecht.
Alle politisch-aktivistischen Leute spätestens ab Ende der Sechziger kannten das Gefühl nachts auf der Straße. Wie oft wurde ein falsch identifiziertes Fahrzeug ("Die Bullen! Schnell weg!") zum Grund, Eimer Quast und Plakate wegzuschmeißen und die Beine in die Hand zu nehmen. Coole Varianten waren, um die Ecke zu rennen und die Sachen in Mülleimern, Büschen oder anderen Verstecken zu deponieren. Auch Kleidung oder Fahrräder wurde den Erfordernissen angepasst. Tipps für das beste Vorgehen ausgetauscht. Selbst erwischt zu werden war oft kein Drama. Mecker vom Waldmeister war die glückliche Variante, die böse: Er ging mit dir durch die Straßen und du durfest dein gesamtes gesichtetes Nachtwerk wieder entfernen. Nicht immer kam es zu Anzeigen. Ab Anfang der Siebziger herrschte der Kampf um die besten Flächen und die richtige politische Einstellung. Werbung, "unpolitische" Anschläge und die der Konkurrenz wurden abgerissen und / oder überklebt.
Das Buch hoch die, kampf dem. 20 Jahre Plakate autonomer Bewegungen behandelt einen Ausschnitt dieser wilden Kultur. Dabei wird alles genommen, "was im weitesten Sinne den undogmatischen linken Bewegungen aus den letzten 25-30 Jahren zuzuordnen war". Diese "neben Demonstrationen .... deutlichsten sichtbaren Zeichen der Bewegungen" sollen eine nachträgliche Reflexion ermöglichen und als Anregung diesen, sich bei der Herstellung und Verbreitung von Plakaten mehr Gedanken über die Wirkung zu machen. Diverse Artikel setzen sich in unterschiedlicher Form mit Plakat und autonomer Bewegung auseinander.
Vom ersten besetzten Haus in Berlin 1971 bis zum dortigen "Lappenkrieg" 1982 anlässlich des Reagan-Besuchs, vom Kraaker-Pfeil über Gegeninformation bis zu kopierten und leicht veränderten Werbungen werden diverse Aspekte der Häuserkampfbewegung abgehandelt, gesäumt mit einer menge bunter Beispiele. Das ist meiner Meinung nach auch eine Stärke des ganzen Buches: die über 600 reproduzierten Plakate. Weiter geht`s mit der autonomen FrauenLesbenbewegung, einer der wenigen Artikel, der radikal-selbstkritisch, umfassend und beschreibend. 8. März sexuelle/sexualisierte Gewalt, § 218 und 129 a, Walpurgisnacht, Rassismus, Faschismus, internationale Solidarität, Knast, Selbstorganisation u.a. ist genauso Thema wie die Repräsentation. "Welche Bedeutungen schwingen zwischen den Zeilen mit, ohne dass sie explizit ausgesprochen werden?"
Auch die stillschweigende Trennung in gute und böse Männer wird angesprochen, bestimmte Rollenzuweisungen, Ausgrenzung über Begriffe und mehr. Der Text weist ohne direkte Benennung auch auf das fehlen einer entsprechenden Auseinandersetzung im Rest des Buches hin. Zwar wird ein Wandel im Ästhetischen festgestellt, zurückzuführen auf die "Macker-Militanz"-Darstellunen und daran geäußerter Kritik, aber das war`s (fast) schon. Allein das Plakat Nr. 46 Müsli 82 mit drei Vermummten (Benzin, Steine, Sprühen) und "futuristischem" Zitat oder Nr. 512 - ein Mann mit geballter Faust und Knüppel gegenüber von zwei Autos und dahinter Menschen - liefern allerhand "freiheitlichen" Gesprächsstoff. Bis heute habe ich gedacht, das auf letzterem ein vermummter mit Handschuhen abgebildet ist. Dank des Buches weiß ich jetzt, dass es ein schwarzer Verteidiger in Hoyerswerda war.
Weitere Themen sind Repression, die Solidaritätsbewegung (textlich eher die Mittelamerika-Solidarität) Antimilitarismus (wobei tendenziell der Anti-US-Imperialismus gemeint ist), die Anti-AKW-Bewegung, Startbahn-West (wobei die positive Darstellung, dass Frankfurter Autonome sich nach den Todesschüssen 1987 gegen zwei Bullen öffentlich der Diskussion stellten, schon mehr als peinlich ist), Antirassismus und 1. Mai. Zwischendrin wird eine Geschichte der Hamburger Plakatmalerinnen (Rote Flora) erzählt. Auch wird sehr vielschichtig über das "rebellische Kind", Motiv seit Mitte der Achtziger, nachgedacht. Trotz des in teilen der autonomen Bewegung unbeliebten Reflektierens / Analysierens und damit oft verbundenen Plattheiten macht`s hier richtig Spaß zu lesen und nachzudenken. Es gibt vielleicht eine Ahnung, warum ein Älterwerden hier auf Schwierigkeiten stößt.
In ähnlich erfrischender Qualität ist für mich der Dialog zweier Frauen über zwei Plakate mit deren möglichen Botschaften. Das Norderstedter kommt dabei unter die Räder (ja, ja ich weiß), aber die aufgeworfenen Sichtweisen sind nicht von der hand zu weisen. Mir fehlte dabei ein wenig "Metropolen"-Kritik. Die Darstellung "Freiheit", die grundsätzlich bei Autonomen zu kurz kam, wird exemplarisch beleuchtet, mit gefangenen zusammengebracht, um dann bei einem lustvollen Harper-Druck aus England zu enden. Sehr gelungen der Designer, der hilfreich über Herstellung, Verbreitung Wirkung nachdenkt. Dieser Text könnte zur Grundlage jeder plakatproduzierenden Gruppe werden. . Wenn da nur nicht das "stotternde" Plakat wäre, halt ein nicht ästhetisches Problem. Die Auseinandersetzung mit antifaschistischen Plakaten thematisiert die Symbolik und verwendete Bilder (Faust, Fahne, Militanzgehabe). Zwischen dem ganzen Traditionsscheiß wären dann noch einige Rosen und andere Blumen zu finden, die treffend ein anderes Verständnis von Antifaschismus zeigen. Die Bissigkeit zu "Kunst und Kampf"", Filiale der Antifa M in Göttingen mit ihren KPD/Roten Armee-Relikten, sind aus undogmatischer Sicht das Mindeste.
Da bin ich auch schon bei meiner größten Schwierigkeit mit dem Buch. Dogmatisch heißt, starr an einer Ideologie festhaltend. Schon in den Achtzigern sammelten sich unterm autonomen Label (auch in Kiel) derartig ausgerichtete Gruppen. In diesem Buch tauchen die Antiimps, Unterstutzerinnen der RAF-Strategie mit angeschlossenen Front-Gruppen im proletarischen Volkskrieg, auf. Es gab ungezählte auch körperliche Auseinandersetzungen zwischen ihnen und Autonomen, nicht nur in Frankfurt. Ähnlich der Schweiz, dort schon fortgeschrittener, tauchten immer mehr Antiimps und ähnliche "Dogmatens" bei den Autonomen der neunziger auf, was sich entsprechend inhaltlich niederschlägt. Stellenweise auch in diesem Buch.
Dafür fällt Punk unter Jugendbewegung. Autonome Auseinandersetzungen um soziale gefangene, totalitäre Institutionen (Psychiatrie, Schule etc.) Rote und andere Hilfen etc. verschwinden. Alles das zu finden in Zeitungen wie Die Aktion, Armes Deutschland, Bruchstücke, Durchblick, Freiraum, Projektil u.v.a.m. So begrüßenswert Geschichtsaufarbeitung ist, so schwierig ist es, zu erkennen, wer welche Interessen transportiert. Insofern ist der buchliche Vertretungsanspruch zurückzuweisen. Er ist ein Ausschnitt. Bestätigt wird dies auch in mitgelieferter CD mit fast dreitausend Plakaten. Aus Norderstedt eins, aus Flensburg fünf und Kiel 33. Wer in der Kieler Arbeitslosenini in der Iltisstraße im Januar war, wird weitere entdeckt haben, und ich persönlich habe noch andere gekleistert. Das restliche Schleswig-Holstein erscheint nach Suchen überhaupt nicht. TierrechtlerInnen, WahlboykotteurInnen, Punx, SportlerInnen, anarchistisch orientierte Autonome werden selten bis gar nicht fündig. Eine Menge Arbeit für andere HistorikerInnen. Trotz alledem: ein Meilenstein autonomer Bewegungen zu einem Preis, der für die MacherInnen spricht. Und gut für viele Diskussionen, unabhängig von "autonomen".

zum Anfang

Jochen Knoblauch
20 JAHRE PLAKATE AUTONOMER BEWEGUNGEN
in Contraste (Heidelberg) Nr. 184 / Januar 2000 S. 1 und 6.

Die Geschichte politischer Plakate lässt sich bis in die französische Revolution zurückverfolgen, dort wurden erstmals in größerer Zahl politische Texte und später auch mit Zeichnungen versehene Plakate an die Hauswände der Stadt geklebt. Unser Schwerpunktthema beschäftigt sich mit politischen Plakaten der letzten zwanzig Jahre. Anlass ist das im Herbst erschienene Buch "hoch die kampf dem - 20 Jahre Plakate autonomer Bewegungen" der Verlage Libertäre Assoziation, Schwarze Risse und Rote Strasse.

Jochen Knoblauch, Berlin - Der Mensch ist gefangen in seinen Wahrnehmungen. Unsere visuellen Möglichkeiten werden zunehmend auf die Probe gestellt durch eine Fülle von Bildern, die zumindest den Großstadtmenschen überfluten. Zwischen all den Werbeplakaten, Straßen und sonstigen Hinweisschildern muss sich das politisch ambitionierte Plakat einen Platz erkämpfen. So, wie wir uns unsere Freiräume zum Leben erkämpfen müssen, braucht die (Gegen-)Information ihre Räume, und da diese selten legal sind, müssen eben Hauseingänge, Bauzäune, Mauern, Stromkästen usw. dafür herhalten.
Politische Plakate dienen der Information für Demos, Aktionen etc., zur Agitation, oder/und als Reaktion auf Ereignisse, die die MacherInnen bewegen. Meistens handelt es sich um kurzlebige Plakate, die - wenn ihr Zweck erfüllt ist - eben überklebt oder abgerissen werden. Nichts ist so alt wie das Plakat zur letzten Demo, zur letzten Soli-Party oder Diskussionsveranstaltung. Und da mittlerweile die Räume enger werden - weniger besetzte Häuser, weniger politische Buch- und Infoläden - treibt es die Plakate immer mehr in den öffentlichen Raum. Und hier werden wir sie eben geklebt, dem verrotten oder der Schmach des abgerissen werdens ausgesetzt.
Wer will und kann diese Devotionalien der Bewegung(en) sammeln? Wie können diese Mengen archiviert werden? Immerhin sind es doch Zeugnisse der politischen Willensbekundungen, eng verknüpft mit Ereignissen der Zeitgeschichte - und unserer Geschichte. Jedes Plakat macht seine visuelle Aussage und versteckt die der Macherinnen, ihrer Zeit, Ihrer Wünsche und Träume und ihrer Kämpfe. Die Idee, diese Zeugnisse zu sammeln, scheint der militanten Linken etwas spät gekommen zu sein, aber vielleicht noch nicht zu spät. Ein Unterfangen, welches ein guter Anfang ist, liegt jetzt in Buchform vor: "hoch die kampf dem" ist nicht bloß eine Ansammlung von Plakaten, sondern gleichzeitig ein Lesebuch mit Kurzüberblick auf die politisch-tunabhängigen Bewegungen. Es macht Spaß dieses Buch zu lesen - vielleicht zur Enttäuschung jener, die sich schon gefreut haben, endlich mal `nur' was zum Anschauen zu haben.
Natürlich stellt sich auch die Frage, ob und warum alles gesammelt und archiviert werden muss? Zumal, wenn wie mit der 68er-Bewegung auch eine Geschichtsklitterung vorgenommen, Geschichte verpersonalisiert, zum Geschäft degradiert wird. Seine eigene Geschichte zu kennen, ist jedoch kein Fehler. Neben den Erinnerungen bietet es auch Anregungen. Die Kritikerinnen derartiger Projekte werden sich schon von ganz allein melden. Jedenfalls bietet das Buch neben der CD-ROM einen Grundstock, und es werden vermutlich durch dieses Buch noch weitere Plakate hinzukommen, denn in Zusammenarbeit mit dem Hamburger Archiv der sozialen Bewegungen soll das Plakat-Archiv ausgebaut werden.

Geschichte
Die politische Proklamation per öffentlichen Anschlag wurde bereits in der Französische Revolution von 1789 ff. praktiziert. Aber nicht nur die politischen Verhältnisse spielten eine Rolle bei der Verbreitung politischer Plakate, sondern vielmehr die technischen Voraussetzungen Plakate zu entwerfen und herzustellen. Dies war eigentlich - vor allem von politisch unabhängigen Gruppen ohne riesigen Kostenaufwand erst seit den 70er Jahren möglich, wenngleich selbst heute noch die Produktion von Plakaten auch nicht gerade sehr billig ist. Wurden Ende der 60ger, Anfang der 70er Jahre noch vornehmlich `Strich-Vorlagen benutzt (also Schrift, Zeichnungen etc., die den komplizierten fototechnischen Aufwand bei der Herstellung der Druckvorlagen (damals noch) erschwerten), so sind heute, dank High Teich, entwurfsmüßig keine Grenzen mehr gesetzt. Plakate, die nicht nur direkte Informationen transportierten wurden in den 70er und 80er Jahre zum beliebten Wandschmuck für WG-Küchen, Kneipen mit Anspruch sowie den politischen Buch- und Infoläden. Die "Sekt-Generation" der 80er forderte auch eine größere Ästhetik ein, und u.a. war hier die Zeitschrift radikal durchaus auch ein Vorreiter für neue Ideen im Bereich des Lay-outs, der Gestaltung im Allgemeinen.
In der Zeit entwickelte sich auch (wieder) das Plakat zum Kaufen, mit "Grundsätzlicheren" Themen, die einfach `in' waren. Daneben war es aber auch immer ein Medium das die Straßenbilder beherrschte, wenn auch nur in den Großstädten, und da oft auch nur in bevorzugten Gegenden.
Zwischen dem Che-Plakat und dem Poster wo Frank Zappa auf dem Klo sitzt aus den 60er nehmen immer mehr die Fahndungsplakate des Staates an Raum in Beschlag. Dagegen setzten die verschiedenen Bewegungen, ob Frauen-, Friedens- oder Anti-AKW-Gruppen, ihre visuellen Zeichen. 1994 bringt die Zeitschrift CONTRASTE in Zusammenarbeit mit dem IG-Archiv in Amsterdam eine Plakat-Mappe heraus zum Thema "Stadtguerilla" mit 14 Plakaten im A-3-Format aus den "letzten 25 Jahren",. Ein zaghafter Versuch das Medium Plakat aus den letzten Jahrzehnten auch als etwas historisches zu betrachten. Plakatmappen waren in den 70er und 80er Jahren ebenfalls von Internationalismus-Gruppen verbreitet worden. Die Mischung von Plakat und Buch aus den letzten Jahren brachte z.B. das Buch "Kunst als Widerstand" von Bernd Langer zusammen. Hier wurde vor allem die Arbeit der Göttinger Gruppe KUK (Kunst und Kampf), dokumentiert, die für eine ganze Anzahl Antifa-Plakate Ideengeberin war und ist. Längst sind Plakate über die Kämpfe des Tages hinaus auch zu einem bekennenden Wandschmuck geworden.

Das Buch
Das Plakat ist die Kommunikation mit der Öffentlichkeit, mit der Gesellschaft. Anders als bei Zeitschriften oder Broschüren, die meist nur in geschlossenen Kreise zirkulieren, heischt das Plakat im öffentlichen Raum um jeden Blick den es einfangen kann. Plakate markieren aber auch einen gewissen "Linken Raum", einen Bewegungsradius der "Szene". Nicht jedes Plakat allerdings schafft es, auch sein Anliegen zu transportieren. Einige Plakate werden daher auch recht harsch aus der heutigen Sicht kritisiert. Die rund 3.000 abgebildeten Plakate (incl. denen auf der CD-ROM) bilden aber alles in allem einen ziemlich repräsentativen Einblick in die politische Arbeit der letzten Jahrzehnte. In einschlägigen Zeitungen und Zeitschriften der Szene wurden Anzeigen und Aufrufe gestartet, um möglichst viele Plakate für dieses Buch zusammen zu bekommen. Ein Anspruch auf Vollständigkeit kann wohl niemand erwarten, und die zeitliche Eingrenzung auf die letzten 20 Jahre war wohl eher der etwas hilflose Versuch die Ansprüche an ein solches Projekt nicht zu hoch zu stellen. So ist der Untertitel denn auch etwas zweideutig: "20 Jahre autonomer Bewegungen" liest sich auf den ersten Blick als wären hier nur die Autonomen gemeint, aber dies sollte eben nicht der Fall sein. Die Schwierigkeit lag nun darin, Plakate der 60er und 70er Jahre aufzutreiben, wenngleich auch Plakate vor 1979 im Buch abgedruckt wurden. Schwierig war auch, Plakate aus der Ex-DDR zu bekommen, und selbst aus der Nachwendezeit sieht es noch ziemlich mau aus. Die Sammlerinnen hatten auch nichts gegen Plakate aus der Schweiz oder Österreich, aber im Endergebnis lagen eben nicht so viele davon vor, so dass eben letzten Endes doch mehr oder weniger die Plakate der (West-)Autonomen hier versammelt, samt diverser Einsprengsel. Für die Verlage - selbst in der Kooperation - war es eine große finanzielle Anstrengung. Es sollte nicht zu teuer werden, so dass bei der Auflage von 3.000 Exemplaren eine Deckungsauflage von über 2.000 Stück erreicht werden muss, um die Unkosten auf Seiten der Verlage abzusichern (normalerweise liegt die höchstens bei einem Viertel der Auflage). Außerdem wird dieser Band vermutlich zur Folge haben, dass jetzt weitere Plakate auftauchen, und ob dann ein zweiter Band in gleicher Ausstattung erfolgen kann, wäre zu bezweifeln. Wenn es hoch kommt, vielleicht eine erweiterte CD-ROM, wodurch das Projekt - wie so einige Archiv- und Sammelprojekte - nur wieder was für Spezialistinnen werden würde. Aber das ist alles noch in weiter Ferne.
Dieses Buch ist zugleich eine kleine Geschichte der politischen Bewegungen in den letzten 20 Jahre, die z.T. so gar nicht mehr existieren. In den 18 Textbeiträgen geht es aber nicht nur um die diversen politischen Bewegungen und ihre visuellen Darstellungen, auch Kleberinnen, Ästhetikerinnen und Macherinnen kommen zu Wort. Die Beiträge, die sich mit den politischen Kämpfen wie um die besetzten Häuser, Frauen/Lesben-Bewegung, Soldaritäts- und Friedensbewegung, Antiimp, Antifa, Anti-AKW, Antirassismus und Antimilitarismus usw. auseinander setzen, sind überraschend selbstkritisch, nicht nur was die Gestaltung der Plakate angeht. Meistens sind es Rückschauen von Menschen, die aktiv in diesen Bewegungen steckten, oder noch stecken. Und um bloß nicht alles `nur' als umfassende politische Arbeit der Bewegung zu betrachten kommen eben auch Leute zu Wort, die Plakate herstellen, kleben, betrachten und darüber einfach nur reden. In den Annotationen zu den einzelnen Abbildungen finden sich nicht nur das Erscheinungsjahr und der vermeintliche Druckort - sofern diese rückwirkend ermittelbar waren - sondern auch, leider jedoch noch zu wenige Anmerkungen zu den Ereignissen um das Plakat herum. Dies hätte sicherlich noch im größeren Umfange genutzt werden können, denn hinter jedem Plakat steckt auch eine Geschichte, stecken Menschen, die das produzieren von Plakaten meistens ja nicht von Berufswegen machen und/oder aus Jux und Dollerei. Im Übrigen ist das Pseudonym der Herausgeber(Innen?) `HKS 13' nicht unbedingt der Code für eine Geheime Gruppe von Freundinnen bedruckten Papiers, sondern vor allem im Bereich der Druckerinnen die Bezeichnung für die Farbe Rot, ohne die die meisten Plakate kaum auskommen.

Die CD-ROM
Dass auf dem Buch selbst kein Hinweis auf die CD-ROM in Form eines Aufklebers oder ein sonstiger Hinweis ist, mag ein verkaufsstrategischer Fehler sein, denn für jene, die die technischen Möglichkeiten besitzen, verdoppelt sich der Gebrauchswert des Buches. Auf der CD-ROM, die unter Mac und PC läuft sind zusätzlich noch ca. 2.400 Plakate zu besichtigen. Über eine Suchmaschine kann hier nach verschiedenen Kriterien bestimmte Plakate gesucht werden oder via "Slideshow" kann mensch auch alle Plakate an sich vorüberziehen lassen. Die Suche nach bestimmten Worten oder Begriffen gestaltet sich mitunter etwas schwierig. Die Kategorien sind mitunter nicht so tauglich, wenn mensch ein spezielles Plakat sucht. Eine Volltext-Recherche kann aber eben auch nur funktionieren, wenn die Texte auf den Plakaten alle eingegeben werden, und dies scheint nicht immer passiert zu sein.

Was fehlt
Ohne das Buch in seinem Wert, oder seiner Wichtigkeit zu schmälern, soll hier noch kurz drauf eingegangen werden was fehlt, bzw. wonach noch gesucht werden könnte. So lose, wie bereits in den 70er Jahren die Sponti-Bewegung organisiert war, so entstanden auch Plakate oder Poster, die neben dem direkten Informationsträger für Sit-Inns, Demos usw. ein Lebensgefühl der damaligen Zeit ausdrückten - wie etwa das Plakat "Zahme Vögel singen von Freiheit, wilde Vögel fliegen", welches zu einem der weit verbreitetsten Motive in der linken Szene zählt.
Wie 68 so gilt wohl heute auch wieder das schlichte Che-Guevara-Plakat, dank der Musikgruppe "Rage against the machine" als ein angesagter Wandschmuck. Seit den 60er Jahren hat der Grafiker Klaus Staeck mit seinen zahlreichen Plakaten sicherlich auch zu einer Kultur der politischen Plakate beigetragen, selbst wenn die oft im Auftrag von Gewerkschaften oder der SPD hergestellt wurden. Wodurch sie sich allerdings für dieses Buch nicht empfehlen, aber durchaus erwähnenswert wären.
Ab Mitte der 70er Jahre gab es in Berlin z.B. das "Produktionskollektiv Kreuzberg" welches nicht nur eine eigene Postkarten- und Plakat-Edition vertrieb sondern auch für zahlreiche Gruppen grafische Hilfestellungen leistete. Die Gruppe, die sich später "SehStern" nannte, machte z.B. Mitte der 80er Jahre ein Plakat zum Paragraphen 218, welches ihnen prompt ein Verfahren wegen `Pornografie' einbrachte. Und nicht zuletzt waren sie auch zuständig für die ersten Plakate, die für eine unabhängige, linksradikale Tageszeitung werben sollten. Was letztendes daraus geworden ist? Nun, wie so manches hoffnungsvolles Projekt haben wir auch die taz schon seit Jahren begraben müssen, da es inzwischen zu einem Sprungbrett karrieresüchtiger Journalistinnen verkommen ist. Die Gruppe "SehStern" ist heute noch tätig, wenn auch vielleicht nicht mehr ausschließlich für ein linksradikales Klientel. Ähnlich wie das im Buch beschriebene Projekt der Druckerei in der "Roten Flora" Hamburg.
In den 70er und 80er Jahren gab es z.B. einige Motive im Zusammenhang mit den Aktivitäten der Nordamerikanischen Ureinwohner. Von Gerhard Seyfried gab es auch einige nette Plakate, wie das vom dem fein säuberlich auseinander gelegten Panzerfahrzeug, oder dem wildgrinsenden Latzhosenmännchen mit der Zwille. Und was war mit dem Tunix-Kongress in Berlin von 1978? Wo sind die Plakate der Stadt-Land-Projekte und Kongresse usw. Plakative Revolutionsdevotionalien - bunt, und dafür gut, um einen schlecht gestrichenen Untergrund an der Zimmerwand in einfacher Weise zu verschönern.

Und noch'n Plakat
Den Macherinnen muss klar gewesen sein, hier nur einen Teil der linksradikalen Plakate zusammengetragen zu haben. Es kann wohl auch nie behauptet werden, alle zu haben. Diesen Anspruch hat das Buch aber auch nie gehabt. In seinem Umfang ist es bisher einzigartig. Die Texte mit ihren politischen Einschätzungen werden sicher bei einigen Rezensenten Widerspruch herausfordern, aber gerade das Sammeln und dokumentieren der Plakate in einem kontroversen Raum macht das Buch lebendig und lässt es nicht `nur' zu einem Archivierungsprojekt verkommen. Selbst wenn es gegen Schluss den Eindruck machen sollte, aber eigentlich gibt es nichts zu meckern. Das Buch "hoch die kampf dem" ist ein Projekt, welches wärmsten zu empfehlen ist. Vielleicht regt es ja auch an mal ein Plakat zu machen, und den Mauern einen Sinn zu geben..

Weitere Infos zum Plakat-Archiv gibt es bei: Archiv der Sozialen Bewegungen Hamburg, Schulterblatt 71, D-20357 Hamburg, Tel.: (0 40) 43 30 07, Fax: 432 47 54, sowie bei der Buchhandlung Schwarze Risse Berlin

zum Anfang

Jochen Knoblauch
Interview mit Klaus Viehmann Den Mauern einen Sinn geben
CONTRASTE- Monatszeitung für Selbstorganisation / Nr. 184 /Januar 2000, S. 7

Klaus Viehmann ist einer der Herausgeber des Buches "hoch die kampf dem", die hier den Gruppennamen HKS 13 haben. HKS 13 das ist im "Druckerlatein" die Bezeichnung für eine ganzbestimmte rote Druckerfarbe, die auf sehr vielen der linken Plakaten vorkommt.

Knobi: Im Buch wird kurz angesprochen, dass du das Plakat zum Tod von Ulrike Meinhof "Es gibt viele Arten zu töten..." geklebt hast. - Anfang der 80er haben wir vom Kneipenkollektiv das im Übrigen nachdrucken lassen und für die Knastkasse verkauft, ein immer noch sehr eindrucksvolles Plakat. - Wie war das damals, hast du Lust darüber etwas zu erzählen?
Klaus: Das war im Mai 1976 gewesen, ein paar Wochen später bin ich aus anderen Gründen "untergetaucht" und war dann die 80er Jahre über wegen Mitgliedschaft in der Bewegung 2.Juni und anderem im Knast. Nach der Meldung vom Tod Ulrike Meinhofs hatten sich in der ESG in der Westberliner Carmerstraße Leute aus der damaligen Berliner Roten Hilfe, aber auch viele andere Linke und die vom Komitee gegen die Folter - vergleichbar mit den späteren Antiimps - getroffen. Es gab von den "undogmatischen" Linken schon diesen Plakatentwurf, der binnen weniger Stunden in einer linken Druckerei in einer 1.000er Auflage gedruckt wurde. Ein anderes, kleineres Plakat, zeigte Ulrike beim Hofgang im Knast Köln-Ossendorf, an den Text kann ich mich nicht mehr entsinnen. Über "unser" Plakat gab es ein wenig Streit, weil manche meinten, es werde nicht explizit von Mord gesprochen, wir würden uns nicht eindeutig verhalten. Ich fand und finde den Text aber richtig. Übrigens aus einem Gedicht von Bertolt Brecht, manche denken heute, der sei von Ulrike selbst.

Knobi: Wenn ich das jetzt richtig verstanden habe, besteht HKS 13 aus Sebastian Haunss, Markus Mohr und dir. Ihr lebt nicht in der selben Stadt, war jetzt der Gruppenname eher für dieses Buch-Projekt gedacht, oder versteht ihr euch darüber hinaus als Gruppe?
Klaus: HKS 13 ist einfach nur ein Name für die Herausgabe dieses Buchs, den wir ganz treffend und witzig fanden. Hätten wir keinen Herausgeber, würde außerdem die Deutsche Bibliothek den Verlag nerven, weil die in ihrer Datei halt ein Feld für Autorin bzw. Herausgeber haben und das sonst nicht in ihren Computer eingeben können - wir mussten bei einem andern Buch schon mal jemanden erfinden. Aber zu deiner Frage: wir kannten uns schon vorher, hatten unterschiedlich viel miteinander zu tun, haben aber beim Plakatbuch zum ersten mal alle zusammengearbeitet. Neben dem gemeinsamen Redigieren und Betreuen der Texte hat sich Sebastian in erster Linie um die Sammlung und Digitalisierung der Plakate gekümmert, Markus konnte als wandelndes Bewegungslexikon zu den meisten Plakaten die Geschichten liefern, die sich dann in den Bildunterschriften niedergeschlagen haben und ich habe das Buch noch von der Verlagsseite aus betreut. Gemeinsam haben wir die Artikel bei Genossinnen "bestellt" und dann überarbeitet, das waren oft kontroverse, aber immer ergiebige Diskussionen. Die Einleitung haben wir dann zusammen geschrieben. In Zukunft werden wir uns weiter um dieses Buch, aber auch ein wenig um den Aufbau eines Plakatarchivs kümmern und vielleicht bei einem anderen Buchprojekt wieder zusammensitzen, mal sehen.

Knobi: Mit 39.80 DM ist das Buch, obwohl es natürlich auch viel Geld ist, immer noch ziemlich preiswert. Ist dies nicht ein finanzielles Wagnis für die Verlage, denn Druck, Verarbeitung und Gestaltung sind ja doch sehr aufwendig, was für kleine Verlage, die meist auch noch unterkapitalisiert sind?
Klaus: Das ging nur, weil wir praktisch die gesamten technischen Arbeiten wie Bildbearbeitung, Scannen, etc. selbst gemacht haben. Das alles und die ganze Vorbereitung, also Reisen zu Archiven, das Fotomaterial und die Gerätschaften für die Digitalisierung der Plakate waren nur durch unbezahlte Arbeit, privates Geld und Reste anderer Projekte vorfinanzierbar. Löhne hätten das Buch wenigsten 68 DM kosten lassen. Die DruckerInnen haben sehr günstig gearbeitet und einige linke Zeitungen haben uns durch Vorabdrucke - also unbezahlte Werbung - unterstützt. Die Druckrechnung ist durch einen privaten Zwischenfinanzierungskredit gesichert, aber wir müssen fast alle der 3.000 gedruckten Bücher auch verkaufen, um das wieder reinzukriegen. Der Aufruf im Buch, das Buch als Bewegungsprojekt zu begreifen und entsprechend zu unterstützen, ist sehr ernst gemeint - andernfalls können sich solche Bücher nur noch die leisten, die genug Geld haben, aber wir wollten gerade auch Infoläden und Jugendliche erreichen.

Knobi: Ihr habt euch ja mit dem Buch quasi eine Sisyphusarbeit aufgehalst, nicht nur, dass das Zusammentragen von 3.000 Plakaten Arbeit gemacht hat, sondern jetzt werden ja wohl noch Nachzügler kommen - ich habe z.B. auch noch welche - wie kann also die Arbeit eines solchen Plakat-Archives aussehen?
Klaus: Sammeln, sortieren, in eine Datenbank aufnehmen, fotografieren, digitalisieren, auf CD brennen. Das wäre die Technik, natürlich wäre es vor allem aber ein politisches Projekt und die Plakate müssen allgemein zur Verfügung stehen, entweder über eine Internetseite, über regelmässige "Update-CDs" oder sonst wie. Schön wäre eine Diskussion über die gesammelten Plakate und wenn sich Leute die Originale oder Daten ansehen können, am besten, um selber neue - und gute - Plakate zu machen. Für das Hamburger Plakatarchiv im Archiv der sozialen Bewegungen, was in der Roten Flora beheimatet ist, laufen zur Zeit Spendenanträge, die sind aber noch nicht entschieden. Denn so ein Archiv ist nicht billig und braucht viel Arbeitszeit.

Knobi: Bei den politischen wie auch theoretischen Beiträgen fiel mir eine Sache besonders auf: Die AutorInnen sind fast alle unter 40 Jahren, also relativ jung - im Gegensatz zu uns beiden -, dafür sind aber die Beiträge zum Teil ziemlich abgeklärt. Habt ihr euch die AutorInnen nach besonderen Kriterien ausgesucht?
Klaus: Wir haben nach politisch engagierten AutorInnen gesucht, die zu Plakaten, bzw. zu den visuellen Ausdrucksformen z.B. der Internationalismus- oder Frauenbewegung bereits etwas diskutiert oder geschrieben hatte. Und wir haben Leute gefragt, die zwar ungern Texte verfassen, aber viel von Grafik verstehen, Plakatmacherinnen eben. Abgeklärt zu sein ist sicher kein Privileg der über 40-jährigen, die über 25-jährigen sind das heute auch ... Wichtig war uns und allen AutorInnen, kein Buch zu machen, dass die autonomen Bewegungen hochleben lässt und unkritisch gegenüber den eigenen (Plakat-)Erzeugnissen ist. Ein glattes Buch ohne Reibungspunkte würde wenig Nutzen haben, und wir wollen ja alle, dass wenigstens "unsere" Plakate besser werden in einer politisch eher schlechter werdenden Situation. (Denk bitte nicht, wir sähen Plakate als das linke Heilmittel - aber sie sind schon wichtiger, als mensch manchen ansieht).

Knobi: Dann fiel mir noch allgemein auf, wenn mensch so geballt linksradikale Plakate auf einen Haufen sieht, dass sie doch im direkten Vergleich zu den Werbeplakaten des Kapitals stehen, mal abgesehen von den verschiedenen technischen Aufwand, der sich ja im Übrigen immer mehr angleicht. Da sieht z.B., dass in dem Buch aus grafischer Sicht hochgelobte Plakat vom Berliner Ermittlungsausschuss, doch genauso aus wie Werbung für verschiedene Dosensuppen, wenn die entsprechenden Unterschriften nicht wären. Wer will da denn wem was vormachen? Oder anders gefragt: Wie viel Design braucht das politische Plakat?
Klaus: Im Buch ist ein schöner Artikel von Sandy k., wo es genau um diese Frage geht. Auch im Artikel von Kerstin Brandes über Frauenplakate werden ein paar grundsätzliche Reflexionen über Bilder und das, was sie aktivieren wollen/sollen angestellt. Dass Werbefuzzis sich auch Gedanken über das Wirken von Plakaten machen, ist zwangsläufig, aber da ist doch der Unterschied, für was. Umgekehrt schadet linken Zwecken eine entsprechende Gestaltung, sprich Verbreitung, grafisches Können und Wissen über subtile Wirkungen von Bildern im gesellschaftlichen Kontext ganz bestimmt nichts. Ich glaube, dass in der linken Geschichte 99% der Redezeit Texte betraf und nur 1% Bilder. Ein paar Prozent mehr sind in einer visualisierten Welt sicher angebracht.

Knobi: Manchmal wurden in dem Buch - auch zurecht - einige Plakate heftig kritisiert. Was glaubst, wird euer Buch jetzt bewirken, dass mehr Leute Plakate, und vielleicht 'bessere' machen werden, oder ob das vielleicht auch mehr abtörnend wirken könnte?
Klaus: Manche Plakate haben uns beim Auspacken der Postrollen wirklich erschauern lassen. (Und manche waren ganz toll!) Bei manchen merkt mensch, dass sie nicht "funktionieren", dass es eher große Flugblätter sind, die mit dem Format, den Farben, den Fotos und der Zusammenstellung nichts produktives anfangen können. Ganz klar: Vor ein paar Jahren hätten wir Plakate weniger genau und weniger kritisch betrachtet, aber wir lernen ja ständig dazu. Abtörnend soll das Buch gerade nicht sein, es wird ganz bestimmt viele für das Plakatemachen interessieren und mit dem Buch und der CD gibt es jetzt reichlich Anschauungsmaterial.

Danke für das Gespräch. Ich hoffe, dass sich euer Buch gut verkauft, und wir bald mehr von eurem Archiv-Projekt hören werden.
zum Anfang

Interview von Jochen Koblauch mit Tommi Krippner
Von zahmen und wilden Vögeln
Contraste, Heidelberg Januar 2000

In dem Buch "hoch die kampf dem" ist u.a. das Plakat "Zahme Vögel singen von Freiheit wilde Vögel fliegen" abgebildet. Das Original von 1980 war mit einem Copyrightzeichen versehen und hatte eigentlich den Untertitel "Zahme Vögel singen von Freiheit die wilden fliegen". Es gilt als eines der meist reproduziertesten Motiven in der linken Szene, obwohl KritikerInnen es auch als kitschig bezeichnen. Der Urheber dieses Plakates Tommi Krippner lebt in Berlin. Das kurze Gespräch mit ihm wurde im November 1999 geführt. J.K.

Knobi: Wie ist damals das Plakat entstanden, bzw. wie bist Du auf die Idee gekommen dieses Plakat zu machen?
Tommi: Ende 1979, Anfang 1980 waren wir auf Jamaika, 12 Langhaarige auf Reggä-Tour. Damals waren Poster schwer angesagt, die Kneipen und Wohnungen waren voll damit, und auf einem Tisch im "Schwarzen Café" las ich den Spruch: "Zahme Vögel singen von Freiheit, wilde Vögel fliegen". Ich habe zu der Zeit viel gemalt und so kam mir die Idee auch mal ein Plakat zu machen. Mit Hilfe eines Bildbandes über Greifvögel aus der Charlottenburger Stadtbücherei und dem noch anhaltenden tropischen Gefühl von Jamaika in den Knochen entstand das Motiv und wurde direkt umgesetzt. Also nichts mit Plattencover aus den USA usw., so wie es in dem Buch "hoch die kampf dem" vermutet wird. Die erste Auflage wurde in Essen gedruckt und damals über den Regenbogen-Buchvertrieb unter die Leute gebracht. Eine Mark habe ich pro Plakat verdient.

Knobi: Hast Du das als politisches Plakat gesehen?
Tommi Krippner: Ich weiß nicht, was ist nicht politisch? Man wollte und will sein Lebensgefühl ausdrücken. Ich hatte Lust das Plakat so zu malen, und viele Leute damals wie heute hatten und haben Lust sich das Plakat an die Wand zu hängen. Ist doch toll.

Knobi: Hast Du Dich denn politisch betätigt?
Tommi Krippner: Wir haben demonstriert für die besetzten Häuser und gegen die Atomkraftwerke. Wir haben uns doch eigentlich über alles aufgeregt. Wir hassten fremd bestimmte Arbeit und machten was wir wollten. In einer Partei war ich nie, aber auf so mancher Demo. Was hältst Du davon, dass Dein Plakat kitschig sein soll?

Knobi: In dem Buch "hoch die kampf dem" schreibt die Autorin Asea Eckenreich, dass Dein Plakat wohl das bekannteste ist, und gleichzeitig findet sie es kitschig.
Tommi Krippner: Ist doch wohl klar. Es ist das bekannteste Plakat geworden, weil es kitschig ist. In meinem Wohnzimmer hängt ein Ölbild mit Herbstlandschaft ich höre gerne Hardcore-Country. Aus dem Gefühl heraus entsteht kreatives, wer will sagen was Kitsch ist? "Zahme Vögel..." ist Kitsch-Kunst, welche vielen Leuten Freude gemacht hat und vielleicht immer noch macht. Wie ihr es nennt ist doch egal! Und anscheinend ist es auch weit rumgekommen. Ein Freund hat es selbst in Nepal gesehen. Das Motiv wurde auch auf eine Toreinfahrt eines besetzten Hauses gemalt usw. Und natürlich sehr oft nachgedruckt.

Knobi: Was geht Dir durch den Kopf ,wenn Du heute junge Leute siehst, die das Motiv als Aufkleber haben, oder als T-Shirt?
Tommi Krippner: Dann denke ich, die müssen ja irgendwie so drauf sein wie ich damals. Bei all den Konsum-Kids lässt das hoffen. Damals wolltest Du ja mit Deinem Plakaten Geld verdienen, was ja nun nicht so hingehauen hat.

Knobi: Heute ist Dein Motiv von den "zahmen und den wilden Vögeln" quasi ein Gemeingut. Wie findest Du das?
Tommi Krippner: Damals habe ich mich geärgert, wenn wieder mal so ein Schwarzdruck auftauchte, und meine eine Mark pro Plakat flöten war. Heute finde ich es gut, dass es noch immer im Umlauf ist. Man freut sich doch darüber, wenn man was gemacht hat, und nach 20 Jahren finden die Leute es immer noch gut.

Knobi: Es war ja nicht Dein einziges Plakat in dem Buch ist noch das "Bakery-Plakat" (auf 5.194). Und dann gab es da noch das Poster "Nur wer den Mut zum Träumen hat, hat die Kraft zu Kämpfen"? (1)
Tommi Krippner: Ja, ich habe dann noch ein paar mal Motive von mir drucken lassen, die waren aber nicht so erfolgreich wie "Zahme Vögel..."

Knobi: Du hast zu der Zeit ja auch viel gemalt, z.B. ein Bild über Brockdorf oder eins mit dem Titel "Deutschland muss sterben, damit wir leben können"?
Tommi Krippner: Ja, ich habe einige Bilder auch mit Wut im Bauch gemalt. Würde ich heute noch viel malen bei dieser Schröder-Bande gäbe es sicherlich wieder kreative Wutausbrüche.

KnobI: Wenn Du jetzt so eine Interpretation über Dein Plakat liest, wie das in dem Plakate-Buch "hoch die kampf dem" geschrieben worden ist, hast Du das Gefühl, dass es zerredet wird oder interessiert es Dich schon was darüber geschrieben wird?
Tommi Krippner: Es interessiert mich natürlich wen jemand meine Bilder, in diesem Fall das Plakat, kritisiert. Allerdings finde ich viele Passagen der Interpretation als bla-bla - in Anführungszeichen. Das Poster ist aus meinen individuellen Gefühlen entstanden, und dient "einzelnen Subjekten" - Zitat - zu träumen. Davon haben in 20 Jahren viele Leute Gebrauch gemacht, that's it! Ich wollte niemand verhöhnen mit der Aufforderung zu Fliegen. Im Großen und Ganzen ist mir der Beitrag von Frau Asea Eckenreich viel zu kopflastig. Ein bischen Erbauung für alle Vögel, na und! Die Freiheit sollte süßlich sein.
Danke für das Gespräch.

(1) Dieses Plakat, sowie das "Zahme Vögel"-Plakat gibt es u.a. noch in der Buchhandlung Schwarze Risse in Berlin.

zum Anfang

Arranca LAYOUT-Crew
HKS 13 (Hg) Hoch die Kampf dem - 20 Jahre Plakate autonomer Bewegungen
in Arranca Nr 19 / 2000

Geschichte zu dokumentieren ist immer wertvoll. Und viel Arbeit. Vor allem, wenn man sich vornimmt, ein Medium zu dokumentieren, das lange genug von der "Autonomen Szene" lieblos behandelt wurde. Plakate fungier(t)en in der Regel als Schlusslicht eines wie auch immer gearteten Diskussions- und Aktionsprozesses, dabei haben Plakate eine viel weitreichendere Funktion.

Die Rahmenbedingungen
Mit dem Buch "Hoch die Kampf dem" haben sich die AutorInnen vorgenommen, 20 Jahre Plakatproduktion undogmatischer linker Bewegungen zu dokumentieren, die sie mal mit "Neuen Sozialen Bewegungen", mal mit den "Autonomen" oder mit Bewegungen, in denen die Autonomen nur ein Teil sind, gleichsetzen. Es wird kein triftiger Grund angeführt, warum Plakate von Parteien oder parteiähnlichen Gruppierungen wie den frühen Grünen, dem KBW, BWK, ... nicht in die Betrachtung aufgenommen wurden. Dies wäre sicherlich sinnvoll gewesen, um einen umfassenden Blick auf die "Ästhetik" der "Neuen Sozialen Bewegungen" der BRD zu gewinnen. Zum einen gab es ja einen regen personellen Austausch zwischen den oben genannten Parteigängerinnen und den Autonomen, zum anderen stellten auch diese Gruppen Plakate aus meist unprofessionellem Background her, die Aktivistinnen plakatierten sie ebenso bei Nacht und Nebel und sie hatten einen Anspruch an die Wirkung von Plakaten, der z.B. dem der autonomen Antifa- und Anti-AKW-Bewegung ziemlich nahe kam und kommt. Hieran wird deutlich, dass sich die AutorInnen nicht die nötige Mühe machten, zwischen den 70ern, 80ern und 90ern zu unterscheiden - zumindest, was die Plakate angeht.
Die AutorInnen gehen nicht darauf ein, dass sich bei einigen politisch arbeitenden Zusammenhängen mit den Jahren die Analysen stark geändert haben, die gesellschaftlichen Bedingungen andere sind und sich dies selbstverständlich im Anspruch an Plakate ausdrückt. In den letzten Jahren haben sich auch die politischen Ansprüche zum Teil stark geändert: Politische Gruppen treten mit dem Anspruch an, gesellschaftlich zu agieren, und wollen nicht mehr nur ihre politischen Ideale der Gesellschaft vorleben. Der Antifa-Bewegung, Teilen der AntiRa-Bewegung oder Gruppen mit einem gesamtgesellschaftlichem Anspruch z.B. geht es nur noch sekundär darum, die eigenen Freiräume zu verteidigen, sie haben vielmehr den Anspruch, in die Gesellschaft zu wirken. Das Ergebnis sind komplett andere Plakate, die auch an anderen Orten als im eigenen Kiez geklebt werden, und deren Stil und Bildersprache sich bisweilen doch unterscheiden.
Der Einfachheit halber sind die Artikel entlang von verschiedenen Teilbereiche, die es vor 30 Jahren gab und heute immer noch gibt, geschrieben. Eher neue Teilbereiche, wie z.B. sozialer Widerstand, fallen so untern den Tisch oder werden einfach unter dem bereits bekannten Sammelbegriff der autonomen Szene subsumiert.

Die Bildanalysen
Die AutorInnen definieren in dem Buch an keiner Stelle gemeinsame Kriterien, mit denen sie die dargestellten Plakate diskutieren. Begriffe wie "gestalten", "Ästhetik", "schön", "schlecht", "funktioniert", ... bleiben so wortleere Hülsen, mit denen nichts Klares verbunden werden kann. So kommt es dann zu solchen Schlussfolgerungen, wie sie im Kapitel "Die Freiräume verteidigen" gemacht werden. Am Beispiel eines Plakates zu den Innenstadt-Aktionstagen werden abenteuerliche "neue" Fragen aufgeworfen: "Werden die Leute auf das Plakat reagieren? Erfassen sie sofort, um was es geht, und merken sich schon beim ersten Hinsehen den Termin oder andere Einzelheiten? Haben die Macherinnen politischen Instinkt gezeigt und den richtigen Ton getroffen?" Sind das wirklich die Fragen, die sich "gute" politische Plakatgestalterinnen stellen müssen? Tragen "Professionalisierung und neue technische Möglichkeiten dazu bei, dass die meisten Plakate nun attraktiver werden und eine eindeutige Bildersprache verlassen" (?), wie es die AutorInnen des Beitrags zu internationalistischen Plakaten meinen.
Schade, dass das Buch diese Fragen nur ankratzt und nicht diskutiert, sondern es lediglich Feststellungen gibt, dass es z.B. keine "Rezeptesammlung für den politischen Erfolg von Häuserkampfplakaten(!)" gäbe. Einen Lichtblick in dieser Kategorienlosigkeit ist der Artikel "Design, jenseits von schönen Plakaten", der einen Diskussionsbeitrag zu der Frage, was ein politischer Ansatz für Plakatgestaltung sein könnte, leistet. Doch bleibt dieser Beitrag im luftleeren Raum stehen. Vielleicht sollten wir in Zukunft das etwas "ruhigere" DIN A2 Querformat (!?) verwenden, wie uns die AutorInnen des Kapitels "Die Freiräume verteidigen" vorschlagen.
Das Plakatbuch ist ob des vielen Textes, der eigentlich gelesen sein will, kein Bilderbuch zum Durchblättern und ob der inhaltlichen Beliebigkeit der Texte keine kritische Auseinandersetzung mit dem Medium "politische Plakate" geworden. Obwohl die meisten Vorlagen DIN-Format haben, wurden sie trotzdem in völlig unterschiedlichen Formaten reproduziert, damit möglichst viele Plakate Platz haben. Da aber doch nicht alle dreitausend Plakate ins Buch gepasst haben, stellt sich uns die Frage nach dem Sinn dieser Anordnung einmal mehr. Ferner stellten wir uns die Frage, aus welcher Motivation Plakate groß abgebildet wurden und warum manche klein. Sind die großen Abbildungen besonders gute oder besonders schlechte Beispiele? Form und Inhalt des Buches erschlagen sich so gegenseitig. Das Buch "Hoch die Kampf dem - 20 Jahre Plakate autonomer Bewegungen" ist ein leider nicht gut gelungener Versuch einer Diskussion und Darstellung linker politischer Plakate in der BRD. Doch für Leute, deren Anspruch lediglich der ist, einen Katalog autonomer Plakate zu besitzen, lohnt es sich, das wirklich günstige Buch mit beiliegender CD-Rom mit weiteren Plakaten zu kaufen.

zum Anfang
Wolf-Dieter Vogel
Hoch lebe die plakative Solidarität / Einst voll subversiver Kraft, jetzt Sammlerstücke für Grafik-Fans: die Poster der alternativen Szene
in Süddeutsche Zeitung vom 28. Februar 2000

Sie kleben an verrotteten U-Bahnhofmauern, zieren angeschimmelte Häuserwände und verdecken graue Stromkästen. Zwischen den vielen Werbeanschlägen kaum mehr wahrgenommen, bleiben die Plakate der sozialen Bewegungen dem flüchtigen Betrachter oft nur als kuriose Bilder in Erinnerung: kleine Mädchen etwa, eine Schleuder fest im Griff, wild und immer bereit, "die Nazis" aus dem Stadtteil zu jagen. Oder braun gebrannte Männer, glücklich strahlend, die linke Hand heroisch zur Faust geballt. Darunter in großen Lettern: "Hoch die internationale Solidarität." Oder: "Kampf dem Atomprogramm."
Politkunst fürs Museum
Wohl deshalb haben sich die Herausgeber eines Buches über Plakate wie diese für den etwas fragmentarischen Titel "hoch die kampf dem" entschieden. Meist bunt und unübersichtlich gestaltet, erobern sich die Wandanschläge den öffentlichen Raum auf eigene Weise. Manchmal aggressiv, manchmal ironisch stehen sie als Zeugen für ihre heute kaum noch wahrnehmbaren Produzenten. Sie wollen aufrütteln, informieren, mobilisieren: gegen Rechtsradikalismus, für Jugendzentren oder Frauenpower. Gut und Böse sind freilich eindeutig verteilt - was taugen schließlich Plakate ohne plakative Wirkung? Und so schimmert zwischen "nieder mit" und "wehrt euch" selten ein differenzierter Blick auf gesellschaftliche Konflikte durch. Doch im Gegensatz zu den meist unbekannten Herstellern der rund 3000 Exemplare, welche die Herausgeber aus Archiven alternativer Druckereien und Wohngemeinschafts-Dachböden zusammensammelten, bemühen sich die 15 Autoren und Autorinnen in ihren Beiträgen um Differenziertheit. Gründlich klopfen Kunsthistoriker, Gestalter und (Ex-)Aktivisten die "Politkunstwerke" auf ihre Tauglichkeit ab. Gestaltung, so beschreibt der Berliner Grafiker "sandy k.", hört schließlich nicht beim Plakatrand auf. Soll die "temporäre Aneignung von oft privatisierten öffentlichen (visuellen) Räumen" gelingen, müssen Straße, Hauswand oder Mauer immer mitgedacht werden. Schon deshalb verlieren die etwa 500 vierfarbig dokumentierten Plakate in dem außerordentlich schön gestalteten Buch jene subversive Wirkung, für die sie einst angetreten waren. In Verbindung mit den restlichen auf einer mitgelieferten CD abrufbaren Postern erinnern sie fast schon an moderne Museumsstücke, hergerichtet zur historischen Sezierung. Wird so vergangene Gegenwart konserviert, bevor sie zu Geschichte geworden ist?
Genossin mit Gewehr und Kind
Jedenfalls dürfte kaum ein Geschichtsbuch authentischer Auskunft geben über Sehnsüchte, Utopien und auch Grenzen jener Generation, die in Folge der 68er-Bewegung gegen Atomenergie, Fremdenfeindlichkeit, Neonazismus und Frauendiskriminierung auf die Straße gegangen ist. So werden beispielsweise die Projektionen untersucht, mit denen die deutsche Solidaritätsbewegung den Menschen der Dritten Welt gegenübertrat. Hier wurden oft Wunschbilder propagiert und Reduktionen betrieben, "die mit der Wirklichkeit wenig zu tun haben". So rief etwa das Bild eines Guerilleros zur Demonstration auf, in dessen Haltung eine unbändige Entschlossenheit zum Ausdruck kommt, das Begonnene zu Ende zu führen und dafür auch mit dem Tode zu bezahlen - der Mythos des edlen Wilden als Vorbild für den metropolitanen Linken. Ähnlich fragwürdig der Blick auf die lateinamerikanische Frau: plakativ reproduziert wurde sie dem deutschen Betrachter als kämpfende, freilich emanzipierte Genossin präsentiert, die stets das Gewehr auf der Schulter und nebenbei das Kind in den Armen trägt.
Benetton als wahrer Radikaler
Apropos Kinder: In der autonomen Bewegung erfreute sich das "rebellische Kind" besonderer Beliebtheit. Nach dem Verlust aller linken Gewissheiten, so stellt ein Autor mit dem Pseudonym "H. Frankfurter" fest, sei es dieses Motiv gewesen, das "die Legende der unbeschwerten, jugendlichen, erfolgreichen und schönen" Aktivisten bebilderte. Ob gegen die Frankfurter Startbahn-West oder fürs selbstverwaltete Jugendzentrum, die kecken Gören vom Schlage Pipi Langstrumpfs oder der kleinen Strolche durften nicht fehlen. Dass hier Effekte genutzt werden, die ebenso von der Werbeindustrie verwendet werden, schien gerade jene, die sich immer besonders gegen Vermarktung zur Wehr setzten, wenig zu stören. Mit dieser Verbindung von kritischer und warenförmiger Ästhetik setzt sich auch das Buch zu wenig auseinander. So wird etwa die Zunahme qualitativ hochwertiger Plakate ausschließlich auf erweiterte technische Möglichkeiten zurückgeführt. Wer aber heute mit radikalen Werbestrategen mithalten will, dürfte kaum umhin kommen, sich die Gesetzmäßigkeiten dieses Marktes zu eigen zu machen. Gewohntes durch Provokation zu durchbrechen, zeichnet die "United Colours of Benetton" genauso aus wie den gemeinen Protestler - man denke an das Bild jenes von albanischen Flüchtlingen überfüllten Schiffes, mit dem die Kleidungshersteller zu Felde zogen.
Warum die Ästhetik sozialer und politischer Bewegungen Pate stand, wenn es galt, innovativ zu sein, kann das Buch folgerichtig nicht beantworten. Wie auch in manchen Texten, die zwischen den mehrheitlich hervorragenden Analysen durch fehlende Distanz auffallen, bleiben die Autoren zu sehr im eigenen Mikrokosmos verhaftet. Dabei dürfte doch gerade die Illusion, sich jenseits der kritisierten kapitalistischen Wirklichkeit einrichten zu können, zum weitgehenden Scheitern der Bewegungen beigetragen haben.

zum Anfang

Ohne Namen
Autonome grafik
Publishing Praxis (Ostfildern) vom Mai 2000 S. 79-80

Plakatgestaltung in der autonomen Szene
"hoch die kampf dem - 20 Jahre Plakate autonomer Bewegungen" ist ein Buch voller Plakate. Plakate wie sie aber ganz sicher nicht zum Alltag eines Werbe-Studios gehören, sondern um grafische Arbeiten, die nur im weitesten Sinne etwas mit "Werbung" zu tun haben. Sie mobilisieren für Solidarität mit Befreiungsbewegungen , sie richten sich gegen Rassismus, Sexismus, Faschismus oder Kapitalismus, sie protestieren gegen die Polizei und den deutschen Staat, sie rufen auf zu Demonstrationen und Hausbesetzungen, Blockaden und anderen Aktionen; und nicht zuletzt versuchen sie immer wieder die Gedankenwelt eines anderen Lebens zu vermitteln. Richtig: es geht um Plakate und die Politik der autonomen Szene.
Die Herausgeberinnen, selbst aus der autonomen Szene, nennen sich HKS 13 und tragen damit der Tatsache Rechnung dass die eindeutig häufigste Farbkombination in den Plakaten schwarz / rot ist. Der Plural im Titel " ...autonomer Bewegungen" wurde von ihnen bewusst gewählt. Die autonome Szene ist eben keine einheitliche Bewegung, sondern setzt sich aus vielen einzelnen Bewegungen zusammen, die sich entweder zeitlich abgelöst haben oder zu unterschiedlichen Themenbereichen arbeitet.
Im Gegensatz zu der kommerziellen Plakatherstellung wurden die hier vorgestellten Plakate nicht von professionellen Büros layoutet und hergestellt. Der Entwurf und teilweise auch die ganze Produktion wird von den Leuten durchgeführt, die an den Aktionen selbst beteiligt sind. da es sich dabei in den seltensten Fällen um Spezialistinnen handelt und die finanziellen Mittel beschränkt sind, hat sich eine ganz eigene Gestaltungskultur entwickelt. In der Regel fehlen Vermerke über Herbstellerinnen und V.i.s.d.P., so dass Plakate nicht einzelnen Künstlerinnen, sondern immer der gesamten Bewegung zuzuordnen sind.
Nicht wiedergeben kann das Buch die Plakate in ihrer eigenen Umgebung. Ein Plakat an die Hauswand eines CDU-Abgeordneten geklebt, der "gerade dabei ist das in der Verfassung verankerte Asylrecht zu liquidieren", bekommt durch den Kontext eine zusätzliche Bedeutung, so die Herausgeberinnen. Auch stellen die Plakate vor allem in Großstädten eine Kennzeichnung der "Szene-Viertel" dar. Dies ergebe sich schon alleine daraus, dass, wie schon erwähnt, die Aktivistinnen die Plakate selber verkleben und sich deren Aktionsraum eben auf die unmittelbare Umgebung ihrer Wohnungen und Zentren beschränke. Überhaupt scheint der Akt des "heimlichen Plakatierens" und das benutzen von nicht legalen Flächen oder dem Überkleben der kommerziellen Werbung für die Aktivistinnen zum politischen handeln dazuzugehören. Ganz konsequent widmeten die Herausgeberinnen dem Kleben ein eigenes Kapitel, in dem ein nächtlicher Rundgang mit Kleistereimer und Plakatrolle beschrieben wird.
Die Einteilung der Plakate im Buch folgt nicht gestalterischen Kriterien sondern ihren Inhalten. So sei es zum Beispiel der Antiimperialismus, die autonome Frauenbewegung, die Hausbesetzungen oder die Antifa-Szene. In den häufig sehr kritischen Texten versuchen unterschiedliche Autorinnen jeweils Geschichte und Inhalte der Teilbereichsbewegung wiederzugeben und deren Symbolik in den Plakaten darzustellen, zu deuten und zu kritisieren. Im Kapitel über die Antifa-Plakate wird, um ein Beispiel zu nennen, sich kritisch mit "der Faust" auseinandergesetzt, die nach Ansicht der AutorInnen viel zu häufig auch in Plakaten des politischen Feindes in den 20er- und 30er-Jahren auftaucht und darüber hinaus als Symbol für männliche Stärke nicht zu einer gleichberechtigten Bewegung passt.
Einen kleinen Einblick in die Hintergründe der autonomen Plakatgestaltung vermittelt das Kapitel, in dem die Gruppe "Druck und Propaganda" aus dem Hamburger Schanzenviertelliegenden autonomen Zentrum "Rote Flora" ihre Geschichte und Grundsätze schildert. Hier erfahren die Leserinnen auch einige Anekdoten, wenn zum Beispiel eines ihrer Plakate beim Vorbereitungsplenum für ein Straßenfest durchfiel, weil die abgebildeten an Supermann angelehnten Personen (Schanzengirl- und boy) beide den Buchstaben S auf der Brust trugen. Zusammengelesen ergab sich die dann untragbare Zeichenkombination "SS". DesigerInnen - und Werbefachleute werden sich wohl am ehesten im Kapitel über das Design der Plakate zu Hause fühlen. Hier setzen sich die AutorInnen mit der Gestaltung der Plakate unabhängig vom politischen Anspruch auseinander. Nicht selten führt ja gerade das "Low-Budget-Design" zu überladenen und schlecht lesbaren Plakaten. Ein extremes Beispiel unter anderen sind hier stark vergrößerte Flugblätter, die dann als Plakat herhalten sollen.
Wer beim Stichwort "autonome" dem Sprachgebrauch der Springerpresse folgt und an "Chaoten" denkt, wird seine Vorurteile im Plakat-Buch "hoch die kampf dem" in zahlreichen Abbildungen von zerstörten Schaufensterscheiben, brennenden Polizeiwagen und vermummten Demonstrationen bestätigt finden, und sollte vielleicht besser die Finger von dem Buch lassen. Wer dagegen neugierig auf die etwas andere und stark Inhalt-orientierte Gestaltung der autonomen Szene geworden ist, bereit ist, sich von dem Buch in eine andere Welt mitnehmen zu lassen und sich an dem teilweise ungewöhnlichen Sprachgebrauch nicht stört, findet mit dem Buch "hoch die kampf dem" ein guten Zugang zur Plakat-Geschichte der autonomen Szene mit zahlreichen wirklich sehenswerten Arbeiten. Und für die etwas ältere, die selbst mal im weitesten Sinne zu diesem politischen Spektrum gehört haben, ist es ein gut recherchierter und auch gestalterisch sehr interessanter Ausflug in die Vergangenheit. All jenen sei das Buch wärmstens empfohlen.
Zwei typische autonome Plakate in rot und schwarz. Links ein vermummter Demonstrationszug und der fünfzackige Stern, oben die Fahne einer lateinamerikanischen Befreiungsbewegung und bewaffnete Figuren. (S. 90 / 206 und S. 111/ 247)
Rechts: Dieses Bremer Antifa-Plakat kommt ganz ohne die in diesem Bereich sonst übliche Symbolik mit Fäusten, Fahnen und vermummten Straßenkämpferinnen aus. Die gewünschte Aussage, entschlossen gegen Nazis vorzugehen, kommt trotzdem rüber. (S. 68 / 147und S. 147 / 348)
Links unten: Zwei Plakate, die zur Solidarität mit von Strafverfolgung betroffenen aufrufen. Das linke Plakat aus Hamburg thematisiert den Straftatbestand des Landfriedensbruchs einmal anders und ruft zur Prozessteilnahme auf. Im unteren Plakat aus Berlin bittet ein "Ermittlungsausschuss"" (EA, eine Gruppe, die sich vor und nach Demonstrationen um verhaftete kümmert) um Spenden. (S. 216 / 547)
(Nächste Seite) Oben: Diese Serie aus vier A1-Plakaten bedient sich einer Werbeästhetik, wie sie zum Beispiel auch aus der Bekleidungsindustrie bekannt ist. Freundliche Personen lächeln den Betrachter an. das in den Medien oft vermittelte Bild des "bösen und kriminellen Flüchtlings wird durchbrochen. (S. 211 / 532-535)
Oben links: beide Plakate greifen kommerzielle Werbung auf. Das linke Plakat "wirbt für ein autonomes Zentrum in Hannover, das sich auf dem Gelände der alten Sprengel-Fabrik befindet. Das Plakat oben greift eine Plakatserie zur Hauptstadtwerbung auf. Allerdings steht hier neben der Polizei-Einsatzgruppe der Satz: "Wir dreschen keine Phrasen!" (S. 28 / 76 und S. 29 / 77)
Unten rechts: Zwei Plakate aus der autonomen Frauenbewegung. Der Gegenangriff von Frauen auf Vergewaltiger lässt sich wohl kaum drastischer umsetzen. Die zerspringenden Scheiben im rechten Plakat tragen begriffe, die Männergewalt ausdrücken. (S. 59 / 129 und ?

Wer sammelt, zeigt seine Sammlung auch gerne rum. Da nicht alle 3.000 gesammelten Plakate im Buch einen Platz fanden, ist eine CD beigefügt. Über einen in Netscape realisierten Browser lassen sich Plakate nach Inhalt oder Ort aufrufen. Die Anzahl der Suchbegriffe ist knapp, der Suchalgorythmus langsam und die Texte in den kleinen, dank brutaler JPEG-Komprimierung mit Artefakten übersäten Abbildungen kaum zu lesen. Die CD bliebt damit qualitativ weit hinter dem hervorragenden Buch zurück.

zum Anfang

Christof Meueler
Flutschige Parolen
junge Welt / Feuilleton 22.03.2000

Zwei sind mehr als einer: ein Bilderbuch zur Geschichte der Autonomen
"Das Unglück muss zurückgeschlagen werden", lautet der schönste Liedtitel auf der letzten Tocotronic. Die Autonomen haben das schon immer gesagt. Da weiß man, was man hat: ein gutes Gefühl und flutschige Parolen. Was soll daran schlecht sein? Alles, jetzt, und noch viel mehr, das darf man ja wohl noch fordern. Zeigen, dass man dagegen ist, weil dafür so blöde macht. Lenin, Adorno und die Autonomen - zusammen kämpfen! - damit man in Bewegung bleibt und sich nicht alles gefallen lässt. Die Grundidee aller autonomen Plakate lautet: Zwei sind mehr als einer. Wie im Kinokrimi rufen sie dir zu: Wach bleiben, nicht die Augen schließen, sonst bist du tot.
Eine Art "Merkzettel an den Wänden der Stadt", angebracht von Leuten, die "zu den Massenmedien keinen Zutritt haben oder keinen Wert auf deren Nutzung legen", wie die Herausgebergruppe HKS 13 im Vorwort zu "hoch die kampf dem", einem beeindruckenden Bilderbuch autonomer Plakate der letzten 20 Jahre, schreibt. Auf 239 Seiten und beigelegter CD-Rom werden fast dreitausend Plakate, versehen mit Entstehungsort und Jahreszahl, präsentiert. Ein Museum der Flüchtigkeit: Ist eine Demo oder eine Veranstaltung vorbei, sind ihre Ankündigungen - die meisten autonomen Plakate sind nichts anderes - schnell vergessen und überklebt. Bleiben die Parolen: "Von sozialen Bewegungen zur sozialen Revolution", "Frauen bildet Banden", "Alle Gewalt geht von der SPD aus", "Die Stadt gehört allen", "Nicaragua - die Revolution ist vor allem eine Frage der Liebe", "Reißt die Mauern ein, auch die eigenen, holt die Menschen raus", "Kill a Multi", "Den nationalen Konsens sprengen", "die schönste jugend ist gefangen - freiheit für irmgard möller", "wir wollen kein grösseres stück torte, sondern das rezept ändern!"
So war das also. Endlosschleife: Kampf, weg, Ausrufezeichen. Der etwas platte Titel dieses Buchs trifft. Auch das Wiedersehen mit alter Scheiße im Kopf: "Boykottiert >Israel<, Kibbuzim und Strände", dazu brennen NATO und Davidstern auf dem Plakat. Sonderlich kritisch kommentiert wird das nicht, wie überhaupt die hier versammelten Begleittexte überwiegend theoretisch einfallslos und schlecht geschrieben sind. Erklärt wird meist nur das, was man sowieso sieht. Zu sehen aber ist allerhand: das Imaginieren nicht vorhandener Massenhaftigkeit, Militanz und Entschlossenheit, die Reproduktion der herrschenden Geschlechterordnung im bewaffneten Männerbund inklusive deren einfache feministische Umkehrung. Die Entwicklung von der Siebdruck- zur Computergraphik, man könnte auch sagen: vom Punkplattencover zum Ravepartyflyer, die Tendenz zur Überfrachtung der Plakate mit dem berühmten Zuviel-auf-einmal in Bild und Schrift, vor allem das Zutexten vieler Designideen. Das Klischee des wilden netten Kindes als Zwillenschütze oder Pipi Langstrumpf, Fäuste, Sterne, Gitter statt Abwechslung - ein gegen Nazis fliegender Blumentopf mit der Headline "Power Flower" ist da schon die Ausnahme. Genauso wie der Beitrag der Plakatgruppe des Hamburger Veranstaltungszentrums "Rote Flora" - im Buch neben der informativen Einleitung der beste Text. In offenherzig einfachen Worten wird dort geschildert, daß es verdammt langweilig ist, immer nur Klischees zu vertrauen. Kann man auch als kurze Einführung in die neunziger Jahre lesen: eine Geschichte darüber, wie Pop die Radikale Linke erreichte und diese dann auf einmal nicht mehr wusste, was sie eigentlich wollte. "Wir kommen, um uns zu beschweren" könnte man mit Tocotronic begegnen.

zum Anfang

Anne
Rezension HKS 13 (Hrsg.):hoch die kampf dem.20 Jahre Plakate autonomer Bewegungen
VLA: 1999 / Klaus Schönberger (Hrsg.): Va banque. Bankraub, Theorie, Praxis, Geschichte. VLA: 2000, 325 S.
in Conne Island - CEE IEH / Newsflyer (Leipzig) Nr. 73 / 2000

Wir schreiben nun das Jahr 2001 und eigentlich sollte die Menschheit dem traditionellen Buch schon längst den Rücken gekehrt haben. Vertreibt sich nicht heute der moderne Mensch seine Zeit mit dem Internet und CD-ROMs, die nach Eingabe eines Suchbegriffs und anschließendem Knopfdruck die wichtigsten Informationen ausspucken? Wer macht sich heute noch die Mühe und kämpft sich durch unzählige Seiten umweltfreundlichen Papiers, um sich zu bilden oder zu vergnügen? Eigentlich fallen mir da nur die Kollegen der Review Corner ein, die sich Monat für Monat abrackern, die wichtigsten, witzigsten und wasserdichtesten Bücher für Euch zulesen, damit Ihr weiter The age of empire zocken und trotzdem mitreden könnt, wenn´s um Bücher geht. Dass Lesen aber genauso spannend sein kann wie Computerspiele, beweisen zwei Titel, die unsere interne Jury zu den besten Büchern des Jahres 2000 kürte. Die Bewertungskriterien waren diesmal nicht so umfassend wie im letzten Heft So wurden die Titel diesmal nicht auf Wasserfestigkeit und dem Verhältnis von der Masse zum Preis geprüft, sondern es ging lediglich nach Inhalt, Layout, Preis und Kompatibilität für den Computer. Wie sich vielleicht einige von Euch erinnern, gab es im letzten Jahr eine beträchtliche Anzahl guter Bücher, die wir ja auch versuchten, Euch schmackhaft zu machen. Leider hatten die meisten, sei ihr Inhalt noch so entzückend gewesen, einen Makel: sie sahen einfach Scheiße aus. Ganz anders unsere Gewinner: informativ, aufregendes Layout, verspielte Illustrationen und vor allem mit virtuellen Anwendungsmöglichkeiten! Jetztwollen wir Euch aber nicht länger auf die Folter spannen: die Bücher des Jahres 2000 sind "Hoch die Kampf dem: 20 Jahre Plakate autonomer Bewegungen" (leider für alle, die es sich noch ins Regal stellen wollen, im Moment nicht mehr zu haben) und Va banque: Bankraub. Theorie. Praxis. Geschichte (im Handel noch erhältlich, wäre ein schönes Weihnachtsgeschenk für EureN besteN FreundIn gewesen, leider jetzt zu spät!). Aber immer schön der Reihe nach. Kommen wir also erst mal zum erstgenannten, weil es schon länger auf dem Markt ist und wir von der Review Corner es abgöttisch lieben. Das liegt natürlich nicht an dem Hochglanzpapier, sondern an der beigefügten CD-ROM, die das perfekte Heimkino für alle Fans und Freaks autonomer Politik, Kultur und Kunst bietet. 3000 Plakate von den Autonomen der letzten 30 Jahre auf einer kleinen Scheibe; da lästere noch mal jemand über das Zeitalter der modernen Technik! Aber eigentlich ist die CD-ROM ja erst am Ende des Buches beigelegt, sozusagen als Entschuldigung dafür, dass das Buch nur 240 Seiten hat. Also, warum nun ist das Buch so schön? Erst mal muss Mensch wenig lesen, denn zwei Drittel einer Seite sind zum größten Teil farbige Abbildungen politischer Plakate. Dabei haben sich die Macherinnen für eine thematische Ordnung entschieden. Das hat zum einen den Vorteil, dass sich jedeR zuerst die Plakate ansehen kann, die ihren/seinen Neigungen am meisten entsprechen (also gehöre ich eher zu den Anti-Imps, den Antimilitaristen, den Anti-AKWs oder den Antifas, dann schaue ich mir natürlich die Plakate zuerst an, die meiner Gruppenzugehörigkeit entsprechen, um dann über die anderen zu lästern), auf der anderen Seite kann sich eine Person, die noch keiner festen Gruppe angehört anhand der Plakate entscheiden, welche politischen Aktivitäten sie in Zukunft bevorzugt. Wer sich aber weniger für die politische Arbeit interessiert, sondern mehr für die künstlerische, kann sehr schön die technische Entwicklung des Layouts der letzten 30 Jahre nachvollziehen. Das Buch deckt so also vielseitige Interessen ab und informiert uns darüber hinaus noch über die Geschichte der autonomen Linken, ohne uns pseudo-intellektuell zu kommen. Wir finden, dass das Buch auf jeden Fall seine 39,80 DM wert ist (auch weil´s ja noch die CD-ROM dazu gibt). Also, falls es eine Nachauflage gibt, unbedingt anschaffen!
Das zweite Highlight im vergangenen Jahr steht dem ersten in keinster Weise nach. Auch Va banque, herausgegeben von Klaus Schönberger erschien beim VLA/Verlag der Buchläden Schwarze Risse-Rote Straße und ist 5,80 DM billiger und noch käuflich zu erwerben. Nicht nur die autonome Öffentlichkeit interessierte sich für die Geldräuber, sondern sogar die Süddeutsche Zeitung veröffentlichte eine Rezension zu diesem Werk (siehe SZ vom 20.4.2000), was aber für unsere Auswahl natürlich keine Rolle spielte. Das Buch unternimmt abwechlungsreiche Ausflüge in die Welt des Bankraubs und lässt uns das erleben, wovon wir immer geträumt haben; einmal Robin Hood zu sein. Auch wenn die AutorInnen im Vorwort betonen, kein Handbuch für Banküberfälle haben schreiben zu wollen, kribbelt es doch manchmal in den Fingern und mensch wünschte sich, doch nur einmal dabei sein zu dürfen. Eingebettet in theoretische, psychologische und historische Abrisse der Bankräuberei werden ihre Akteure biographisch, in den meisten Fällen mit Abbildungen, vorgestellt. Und alle Genossen sie die Sympathie ihrer Zeitgenossen und auch derjenigen, die erst heute etwas über sie erfahren. Vielleicht liegt es daran, dass Bankräuber für eine Art sozialer Rebellion stehen, die die gesellschaftliche Norm angreift und zusätzlich die Erfüllung von Träumen möglich macht. Die Sehnsucht nach einem Ausbruch aus den gesellschaftlichen Konventionen ist eine kollektive Phantasie, und so träumt fast jedeR von einem neuen Anfang und dem großen Coup. Übrigens glaube ich, daß jeder Akt gegen die Gesellschaft ein politischer ist. Allen voran das Stehlen. Ich rede nicht vom gemeinen Diebstahl, der, legal oder nicht, darin besteht, arme Leute zu überfallen, sondern vom STEHLEN, einst erbliche Tugend und traditionelle Kunst ... und überragende Hoffnung des Menschen, sein Ziel mit seinen eigenen Mitteln zu erreichen. Die anderen Möglichkeiten heißen: Pferderennen und Lotto." (Albert Spaggiari, 1976) Solche und ähnliche Bekenntnisse von Bankräubern aller Couleur zitieren die insgesamt 39 Autoren des Buches besonders gern, denn im Sinne von Bertolt Brechts "Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?" können sie ihre Sympathien für einen clever ausgeklügelten Bruch kaum verbergen. Natürlich wird auch nicht verschwiegen, daß es im Verlaufe der Jahrhunderte, also mit der fortschreitenden Technisierung der Gesellschaft immer schwieriger wurde, einen erfolgreichen überfall zu inszenieren. So büßte der motorisierte Bankräuber beispielsweise im Zuge der Automobilisierung der Gesellschaft seinen Vorsprung bei der Flucht bald ein. Die heutige Kontrollgesellschaft läßt für stilvolle, kreative räuberische Aktivitäten kaum noch Spielraum. Heute muß mensch angesichts Online-Banking und Kreditkarten nur noch geschickt am PC manövrieren, um zu Reichtum zu kommen. Vorbei also die Zeiten der Knarren und Schneidbrenner. Wem das Buch noch nicht genügt, kann sich mit Hilfe der im Text angegebenen zahlreichen Internetadressen weitere Informationen verschaffen. Es ist wirklich nicht nur ein inhaltlich interessantes Buch geworden, sondern es ist darüber hinaus spannend geschrieben und fabelhaft gestaltet. Das Autorenkollektiv bietet zusätzlich eine multimediale Veranstaltung durch die Welt des Bankraubs an. Leider sind momentan keine Termine mehr zu bekommen. Wäre ja auch für Euch mal eine willkommene Abwechslung gewesen, den drögen Buchrezensionen zu entfliehen. Aber macht euch keine falschen Hoffnungen. Wir werden Euch natürlich auch in diesem Jahr weiterhin in jedem Heft mit den Büchern nerven, die die Welt (nicht) braucht ...

zum Anfang

Ohne Namen
Silberfisch Stadtmagazin
Magdeburg Juni 2000

Der Untertitel "20 Jahre Plakate autonomer Bewegungen" sagt schon aus, daß dieses Buch
in vielerlei Hinsicht schon längst überfällig war. Nun hat sich ein Herausgeberkollektiv gefunden und ein Sammelsurium autonomer politischer Plakate zusammengetragen. Es bleibt zu hoffen, daß sich diese Mühe auszahlt und das Buch auch entsprechend oft verkauft wird. Beim ersten Durchblättern tauchen in erster Linie Erinnerungen auf. Schnappschüsse aus vergangenen Tagen, voller Sympathie, an Zeiten, in denen die Resignation noch nicht so gewaltig war. Dann zeigt das Buch eine wahre Flut an Plakaten zu allen politischen Themen: Demonstrationen, Häuserkampf und Hausbesetzungen, Sexismus, Boykottaufrufe - um nur einiges zu nennen. Jeder halbwegs politisch Interessierte wird eine Vielzahl davon wiederentdecken. Aber das Buch soll nicht Spiegel in die Vergangenheit sein, nein es soll vielmehr vorwärtstreiben.
Eine beiliegende CD-Rom dient letztendlich als Hilfe beim Gestalten eigener Motive. Denn, wer mit offenen Augen durch die Städte blickt, findet schon seit Jahren nichts sonderlich Nennenswertes mehr. Die Plakatkunst schläft. Das Buch will anregen. Die eigene Kreativität fördern. Durch das Gezeigte soll Neues entstehen. Denn die meisten Plakate sind in jeglicher Hinsicht ästhetisch wertvoll - sie stecken voller Radikalität, sind farblich und grafisch gut umgesetzt und werden als Zeitdokumente überleben. Von diesen Büchern wünsche ich uns viele.
H

.
zum Anfang

cg
Agit - P(r)op / Wie ist es in diesen unpolitischen Zeiten ums politische Plakat bestellt?
PAGE hat sich in der Szene umgesehen
PAGE Nr. 10 / Oktober 2000, S. 52-55

Zur puren Dienstleistung ist die Gestaltung von Werbung für die klassischen Parteien geworden. Die professionellen Designer, die in den großen Werbeagenturen die Propagandamittel fürs politische Establishment entwerfen, würden vermutlich mit etwa der gleichen Leichtigkeit den ideologischen Auftraggeber wechseln, wie sie den Mercedes- gegen den BMW-Etat tauschen oder statt für Ariel für Persil werben.
Hand in Hand gehen persönliche Überzeugung und gestalterische Umsetzung noch bei den autonomen Aktivisten - hier finden sich wohl die eigentlichen Nachfolger der über zweihundertjährigen Tradition engagierter Grafik. Oft sind es Laien, die mit minimalen Budget zu Werke gehen. "Mindestens 80 Prozent der Plakate sind nur DIN A2 groß und zweifarbig", berichtet der in Berlin lebende Gestalter Sandy Kaltenborn, der vor drei Jahren gemeinsam mit Gleichgesinnten das Grafikkollektiv Zusammen gestalten gründete und heute im sozialen und politischen Bereich gestalterisch tätig ist Doch nicht nur wegen der geringeren finanziellen Mittel seien die oft im Kollektiv entstandenen Propagandablätter nicht mit professionellen Designererzeugnissen zu vergleichen.
"Die politischen Plakate von Profis sind meist an kein Ereignis gebunden. Sie setzen starke Bilder ein, die weit verständlich sind, aber auch niemand weh tun, da sie von konkreten Aktionen losgekoppelt sind", so Kaltenborn. "Die Profi-Plakate findest du nicht auf der Straße, sie deinen eher als Feigenblätter in der Grafikdesign-Welt, und jeder kann dazu nicken, denn jeder findet Hunger und Krieg schlimm. Wenn du für eine Aktion ein Plakat machst, ist der Spielraum stärker eingeengt. Häufig ist relativ viel Text nötig, beziehungsweise es kommt darauf an, wie viel Autorität innerhalb der Gruppe die Leute haben, die die Gestaltung übernehmen, ob der Text überwiegt oder starke Bilder zum Einsatz kommen." Überhaupt müsse man erst einmal fragen, was denn ein gutes politisches Plakat eigentlich ausmache. "Maßstäbe wie schön oder nicht sollte man nur bedingt als Kriterium für politische Plakate anwenden. Wichtiger ist, inwieweit die Bilder an die politischen Auseinandersetzungen anknüpfen, ob sie etwas zuspitzen oder einfach unbequem sind."
Kritik an einer allzu konventionellen Agitationspropaganda bringen allerdings auch Insider vor. " Mit dem Thema Bildwirkung haben sich im autonomen Umfeld wenige so richtig auseinandergesetzt" erklärt Ulrike Sommer von dem Hamburger Team Linke Hände, dessen Mitglieder zum größten teil visuelle Kommunikation studiert haben. "s wurde zu wenig hinterfragt, zu wenig nach einer wirklich neuen Bildsprache gesucht." Die Bürogemeinschaft Linke Hände, die heute angefangen vom Katalog bis hin zum Festivalplakat alles macht, hat bereits lange Erfahrung in politischer Arbeit. Fünf ihrer sechs Mitglieder gehörten ursprünglich der Gruppe Druck & Propaganda an, die in der berühmten Roten Flora - einem 1989 im Hamburger Schanzenviertel besetzten, früheren Varieté-Theater - eine Siebdruckwerkstatt einrichteten. Zu dem Zeitpunkt, als die Gruppe ihre Aktivitäten an der Roten Flora aufnahm, kannte sich nur ein einziger von ihnen mit der Siebdrucktechnik aus. Nach und nach eigneten sich dann alle das erforderliche Know-how an und vermittelten es auch den anderen Aktivistinnen, die jederzeit in die Werkstatt kommen konnten, um dort Plakate zu drucken.
Alles erledigten die Gestalter kollektiv und eigenhändig: vom Entwurf über die Herstellung bis hin zum kleben. Gerade auch bei letzterem galt es, Kreativität zu beweisen. "Die Dichte von Plakaten ist irre in Szenestadtteillen wie Schanze, Altona oder Karoviertel. Einmal haben wir unsere Sachen auf Fußbodenhöhe ausgehängt, das andere mal sind wir mit einer Leiter losgezogen." Computer und Scanner ließen die Plakatproduktion in den neunziger Jahren zwar einfacher und billiger werden, brachten aber gleichzeitig eine größere Arbeitsteilung mit sich. "davor hatte das Plakatemachen den Charakter von Gemeinschaftsarbeit, denn ale standen rund um den Tisch und haben rumgeschnipselt, um in Collagetechnik die Vorlagen herzustellen. Heute sitzt du meist allein vor dem Bildschirm. Zwar besprichst du im Vorfeld mit den anderen, was du machst, aber die Trennung zwischen Diskussions-, Gestaltungs- und Druckprozess ist viel klarer."
Auch auf der visuellen Ebene hat sich in den letzten Jahren so manches geändert. "Die Bildsprache ist offener geworden" meint Ulrike Sommer. "Man glaubt jetzt nicht mehr, dass man jedes Plakat mit einem typischen Symbol wie etwa dem Frauenzeichen oder dem roten Stern sofort erkennbar machen muss". Auch der allzu häufige Gebrauch von lange Jahre sehr beliebten Bildern wie etwa denen der mit Zwillen schießenden Kindern würde langsam eingedämmt. "Das Gestaltungsspektrum hat sich erweitert", stimmt Sandy Kaltenborn zu. "Während sich bis vor rund zehn Jahren die Szene im Grunde selbst genug war, gab`s seither zunehmend Anleihen aus der Hip-Hop- und der Techno-Kultur. Inzwischen lassen sich am populären Mainstream orientierte Arbeiten ebenso finden wie Collagen im Punk-Look der 80er Jahre. Analog zu den Massenmedien hat sich in der Gegenkultur das ästhetische Spektrum ebenfalls ausdifferenziert."
Holzschnittartige Kämpfersymbolik im Stil der zwanziger Jahre und das "Macker-Pathos" der geballten Fäuste sieht man in der antifaschistischen Szene immer weniger. "Anleihen bei Mangacomics und Filmen wie Akira und Robin aus Batmann erregen durch die - verfremdete - Verwendung Aufmerksamkeit und brechen das Fighter-Bild ironisch", schreibt Klaus Viehmann, einer der Herausgeber des Buches "hoch die kampf dem", das sich mit der Entwicklung der Plakate von autonomen Bewegungen in den letzten zwanzig Jahren beschäftigt. "Auch die geballte Kraft des Marsupilami ist erstrebenswert - aber niemand würde es als Symbol der kraftstrotzenden Männlichkeit verstehen können. Antifaschistische Militanz lässt sich so ganz ohne sehnenzerrend, muskelschwellende Fäuste propagieren."

zum Anfang

Gottfried Oy
Drucken, Klauen, Kleben /Von 68 über die Startbahn und den Paragrafen 218 bis hin zu Genua:
Eine Kulturgeschichte politischer Plakate
Frankfurter Rundschau 04.02.2002

Plakate als Medium von Kommunikation, Selbstdarstellung, Information und Mobilisierung sind im Zeitalter audiovisueller Massenmedien hoffnungslos veraltet. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb konnten sie für allerlei "unkontrollierte Bewegungen" von "68" bis zur (Anti-)Globalisierungsbewegung zum zentralen Ort der künstlerischen, bildhaften Auseinandersetzung mit den Verhältnissen werden. Sebastian Haunss, Markus Mohr und Klaus Viehmann haben sich die Mühe gemacht, über 8000 Plakate der radikalen Linken der letzten 30 Jahre zu sichten, digital zu archivieren und sie im Buch vorwärts bis zum nieder mit samt CD-ROM zugänglich zu machen. Nicht nur das: Die 25 Beiträge des Sammelbandes setzen sich zudem mit verschiedenen Aspekten der politischen Plakatkunst auseinander und vermitteln einen Eindruck von der Bedeutung der Bildsprache für den Erfolg und die Anziehungskraft von "68", K-Gruppen, Spontis, Autonomen und anderen Bewegungen.
Der öffentliche Raum ist gespickt mit politischen Botschaften: Werbeplakate als "kapitalistischer Realismus" der Alltagskultur, wie das Plakatbuch feststellt, okkupieren großräumig Bauzäune, Bushaltestellen und Baugerüste. Sie sind die "hegemoniale visuelle Kultur im Alltag der großen Städte", die "kulturellen Orientierungssysteme der Marktwirtschaft". Wer also über Plakatkunst und kritische Bildersprache reden will, darf von Werbung für Konsum und Parteien nicht schweigen. Neben dieser Vierfarb-Hochglanzwelt haben die oft kleinformatigen, schwarz-weißen oder zweifarbigen Polit-Plakate einen schweren Stand. Über die Jahre gab es jedoch immer wieder herausragende Beispiele, wie sich eine politisch verstandene Bildersprache etablieren konnte. Sei es in scharfer Abgrenzung von der Konsumwelt oder in bewusster Übernahme und Verfremdung deren Symbolsprache. Berühmtheit erlangte hier etwa die "Alle reden vom Wetter - wir nicht" Deutsche Bundesbahn-Plakatadaption des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes; dessen Vorstand nebenbei bemerkt nicht den Humor hatte, das Plakat gutzuheißen.
Der Band lässt sich in fünf Abteilungen aufteilen. Da sind zunächst die zeitgeschichtlichen Betrachtungen: "68" und Außerparlamentarische Opposition, Bewaffneter Kampf, K-Gruppen, Hausbesetzer, Anti-Apartheidsbewegung, Chile-Solidarität und die ersten Wahlkampfplakate der Grünen. Es folgt ein Abschnitt, der sich mit Plakaten heutiger Bewegungen auseinander setzt: (Anti-)Globalisierungsbewegung, Lesben, Schwule, Anti-Gentechnik-Gruppen, Popkultur, "Provinz-Plakatkunst" und ein Blick über den deutschen Tellerrand. Anhand zentraler Begriffe werden linke Evergreens aufgerollt: Gewalt, Militanz und Solidarität. Eine theoretische Auseinandersetzung mit der Sprache der Bilder bieten schließlich die Beiträge über antisemitische Elemente in der visuellen Darstellung der Kritik am Kapitalismus oder über die Auseinandersetzung mit der Macht der Symbole und den Möglichkeiten, sie für sich zu nutzen.
Handfest praktisch wird es schließlich da, wo Drucker und Grafiker zu Wort kommen: AGIT Druck, eine der wichtigen politischen Druckereien im Berlin der 70er- und 80er Jahre sowie die Bremer Grafikergruppe "blutdruck" berichten über ihre Arbeit. Und nicht zuletzt handelt es sich bei der beigelegten CD-ROM mit 8300 digitalisierten Plakaten um das größte elektronische Plakatarchiv im deutschsprachigen Raum.
Die Herausgeber, die sich nach einer Druckfarbe "hks 13" nennen, verstehen sich freilich nicht ausschließlich als Archivare sozialer Bewegungen. Ähnlich wie in einem ersten Plakatbuch von 1999, in dem maßgeblich Plakate der Autonomen Bewegung der 80er und 90er Jahre dokumentiert waren, geht es auch in diesem Band, der 30 Jahre Plakatkunst umfasst, um das "gute Plakat". Nicht immer und ewig in der gleichen Bildersprache verhaftet zu bleiben, sich neue Ausdruckformen auszudenken, aber auch von den alten Plakaten zu lernen, ist erklärtes Ziel. So kritisiert Dario Azzelini zu Recht die oft einfallslosen Plakate der (Anti-)Globalisierungsbewegung. Insbesondere nach den tödlichen Schüssen beim G8-Gipfel in Genua beschränkten sich viele Plakate darauf, Polizeigewalt zu zeigen: "Das Gefühl vieler, eine seit Jahrzehnten in Europa nicht mehr erlebte Massenmobilisierung erlebt zu haben, spiegelte sich in den Plakaten nicht wider."
Stattdessen wird das Demonstrieren zur gefährlichen Sache erklärt, die bloße Empörung steht im Mittelpunkt. Die Straßenschlacht als existenzialistischer Ausdruck eines diffusen "Dagegen-Seins" aus der Mottenkiste von Punk und Autonomen feiert fröhliche Urständ.
Avancierter dagegen die Analysen der "autonomen a.f.r.i.k.a.-gruppe": "Imageverschmutzung" , eine Praxis der "Kommunikationsguerilla", bringt die Symbole der Macht zum Implodieren. Die politische Ökonomie der Bilder und Symbole hat sich in den letzten Jahren massiv verschoben, Kommunikation selbst wird zu einem Produkt, die Produkte bestehen aus Symbolen oder Bildern oder ihr Tauschwert ist maßgeblich durch den Symbolgehalt bestimmt. Das Beschädigen von Images hat somit massive ökonomische Folgen und wird, früher noch als symbolische Politik belächelt, zu einer zentralen politischen Strategie.
Durch gezieltes Einsetzen der Techniken einer subversiven Kommunikation wie Fälschungen und Fakes kann der Ruf von privaten oder öffentlichen Einrichtungen immens geschädigt werden. So benutzte die Anti-Startbahnbewegung im Rhein-Main-Gebiet vor mehr als zehn Jahren den mit blutigem Polizeiknüppel und Helm verfremdeten Hessen-Löwen, die Berliner "NOlympics"-Kampagne Ende der 90er versah das Maskottchen der offiziellen Olympia-Bewerbung mit einem "Einschussloch" und "Kein Mensch ist illegal" ging im letzten Jahr mit textlich veränderten, aber stilsicher kopierten Lufthansa-Plakaten gegen Abschiebungen vor. Imagebeschädigung - was heute von Naomi Klein als "No Logo"-Politik adaptiert wird, kann auf eine mehr als dreißigjährige, lebendige Geschichte zurückblicken, wie das Plakatbuch eindruckvoll verdeutlicht. vorwärts bis zum nieder mit ist somit nicht nur "Familienalbum" der "dabei Gewesenen", sondern auch Handbuch für moderne, politische Grafik.

zum Anfang

Ohne Namen
Mein schönstes Weihnachtsgeschenk Plakatbuch "vorwärts bis zum nieder mit"
Die Neuauflage des Plakatbuches ist nicht nur ein quantitativer Fortschritt
in Conne Island - CEE IEHNewsflyer (Leipzig) Nr. 85 /2002 review-corner

Vor über zwei Jahren erschien hoch die kamp fdem ein Buch, welches anhand der Plakate der autonomen Bewegung die Geschichte eben jener nacherzählte. Das Buch wurde damals von der review-corner-Redaktion zum "Buch des Jahres 2000" gekürt. Die neue Ausgabe des Plakatbuches ist nicht nur 40 Seiten dicker und die beiliegende CD-ROM mit dreimal so vielen Plakaten vollgepacktes geht auch zeitlich weiter zurück (bis in die 60er Jahre) und ist thematisch breiter angelegt. Während im ersten Buch die autonomen Teilbereichsbewegungen (Antifa, Anti-AKW, Antira, Antimilitarismus, Frauenbewegung) im Mittelpunkt standen, widmet sich das neue Buch neben der autonomen Plakatkunst auch der der Grünen, der K-Gruppen, der 68er und anderer system(un)kritischer Subkulturen. Außerdem, und das ist wohl der größte Verdienst des neuen Projektes, wird das Verhältnis der verschiedenen Plakate und deren MacherInnen zu bestimmten Fragestellungen untersucht: Militanzdebatte, Antisemitismus in der Linken, symbolische Politik, Solidarität, Ästhetik. Das Buch und die beiliegende CD-Rom (die 8.300 Plakate sind alle verschlagwortet und können nach verschiedenen Kriterien durchsucht werden) eignen sich aber nicht nur zum versonnenen Schwelgen in bildhaften Erinnerungen, wie gut doch früher alles war und wie schlecht noch früher, sondern die Beiträge sind jeweils knappe und trotzdem gute historische Abrisse zu den einzelnen Bewegungen und Epochen der linken Bewegungen. Ein Sammelband mit ca. 25 verschiedenen AutorInnen bringt es natürlich mit sich, daß die Texte nicht alle aus einem Guß und von unterschiedlicher Qualität sind. Es mischen sich oft subjektive Wertungen in die Geschichtsschreibung, was nicht weiter verwundert, da die meisten als InsiderInnen schreiben, also immer auch über ihre eigene Geschichte. Ergebnis dessen sind dann solche Sätze: Die Qualität und die Art der Gestaltung (der Plakate zu den Anti-Globalisierungsprotesten) entsprach meist der Aktualität und Frische der politischen Position der jeweils mobilisierenden Gruppe. Was ja noch stimmen mag. Wenn aber zum Beweis vom Autor (Dario Azzellini) nicht nur die Linksruck-Plakate für schlechtes Layout herangezogen werden, sondern als positives Beispiel die seiner Lieblingsgruppe (FelS) herhalten müssen, wird es peinlich. Der Autor sieht sich jedoch nicht nur von Linksruck bedroht, sondern auch von Gruppen, die er als Rechtsruck innerhalb der Linken deutet: die Antideutschen. Anstatt sich auf das bisher junge und zarte Pflänzchen (der Antiglobalisierungsbewegung) zu stürzen und es in der Luft zu zerreißen, sollten die Anstrengungen der vernichtenden KritikerInnen sich lieber darauf orientieren, "auch... innerhalb der wachsenden Bewegung kritisch mitzumachen". Verkürzte und antisemitisch angehauchte Kapitalismuskritik ist allerdings kein junges und zartes Pflänzchen, auch wenn´s poetischer klingen mag, sondern so alt und knorrig wie eine deutsche Eiche. Dies kann Azzellini jedoch nicht begreifen, ist er doch zu sehr in seiner Bewegung verhaftet und entschuldigt antisemitische Plakate gegen die "Globalisierung" damit, dass Plakate immer mit Symbolen arbeiten würden und Symbole immer verkürzt wären, deswegen zwar nicht "die Welt erklären jedoch Aufmerksamkeit erregen könnten". Zum Glück gibt es im Buch einen Beitrag des jour fixe initiative Berlin-Mitglieds und ex-Bahamas-Autorin Elfriede Müller zum Thema "Antisemitismus auf Plakaten? Plakate gegen Antisemitismus!" der alles wieder zurechtrückt. So hofft mensch zumindest nach der Durchsicht des Inhaltsverzeichnisses. Doch auch dieser Beitrag verwundert. Für die Bahamas überraschend unpolemisch und differenziert setzt sich Müller mit antisemitischen Plakaten auseinander. Sie attestiert der Linken, zu großen Teil nicht direkt antisemitisch (gewesen) zu sein, jedoch unbewusst Anschlussstellen für antisemitische Interpretationen in Text und Bild zu liefern. Angenehm ist ihrer Feststellung, dass die Palästina-Solibewegung nicht den Umfang und Rückhalt in der linken Szene hatte, wie es inzwischen aufgrund der linken Bekenntnisliteratur ehemalige linke Antisemiten ihren Schandtaten abschwören, sie aber gleichzeitig auf die gesamte Linke projizieren und verallgemeinern zu scheinen mag. Warum sie allerdings indirekt eine eigene, bessere Palästina-Solibewegung einfordert, bleibt schleierhaft: "Allerdings soll hier keinesfalls bestritten werden, dass eine Solidarität mit den Palästinensern gegen die Militärdiktatur in den von Israel besetzten Gebieten und mit dem Protest der Israelis palästinensischer Herkunft gegen ihre Diskriminierung eine Notwendigkeit des linken Internationalismus darstellt." ähnlich moderat verfährt sie mit einem Plakatmotiv der Autonomen Antifa (M) gegen den Polizei- und Überwachungsstaat: Weil die abgebildete Krake (mit einem Heiligenschein aus Konzernsymbolen von Nestle, Mercedes, Shell, Deutsche Bank etc.), die mit ihren Tentakeln Europa umschlingt und unterdrückt, ein klassisches antisemitisches Bildmotiv keine antisemitische Physiognomie habe (soll wohl heißen: der Totenschädel der Krake hat keine Hakennase), sei das Plakat nicht antisemitisch konnotiert. Anstatt dieser Entlastungsaussagen hätte Müller genauer herausarbeiten können, dass selbst diejenigen, die nicht Zionismus mit Faschismus gleichsetzen (wie es in Hamburg noch 1989 geschehen ist), sondern ganz im Gegenteil sich kritisch mit der deutschen Geschichte auseinandersetzen und z.B. Demonstrationen zum 9. November organisieren, nicht frei von Fehldeutungen und Verunsicherungen sind: Dafür spricht die auffallende Zurückhaltung auf den ansonsten immer so kämpferischen linken Plakaten, die pflichtschuldige Aufzählung des Antisemitismus neben anderen Unterdrückungsverhältnissen bzw. noch öfters die verschämte Subsumierung des Antisemitismus unter dem Schlagwort Rassismus. Aber auch andere AutorInnen frönen ihrer Liebe zur Bewegung, was einen verklärten Blick zu Folge hat. Esther Lopez kritisiert am Anfang ihres Beitrages über die Plakate der Lesbenbewegung noch die Bildmotive, die eine von Männern befreiten Ort als heile und widerspruchsfreie Welt präsentieren. Sie erkennt auch deutlich das Dilemma der Lesbenbewegung, erst Anhängsel der Frauenbewegung, später der Homosexuellenbewegung zu sein und somit nie wirklich eigene Akzente setzen zu können. Am Ende ihres Beitrages muss sie konstatieren, dass die Lesbenbewegung heutzutage einerseits in Mainstream-Events wie dem Christopher Street Day, anderseits in der queeren Partyszene restlos aufgegangen ist. Diese Entpolitisierung benennt sie allerdings nicht als solche, sondern bezeichnet diesen Prozess als einen der Professionalisierung. Oder: Die Partyszene sei schon deswegen politisch, weil sie politische Vereinnahmung ablehnen würde. Eine Deutung, die schon allein durch die abgebildeten Plakate konterkariert wird. Ein Vergleich der Lesbenplakate mit denen der Schwulenbewegung zeigt allerdings deutlich, wer jetzt mit Politikmachen dran wäre: Während sich die Frauen- und Lesbenbewegung von Anfang an umfassend politisch artikuliert und bei bestimmten Themen, wie linker Antisemitismus und Rassismus, sogar eine Vorreiterrolle gespielt hat, haben die Schwulen dort angefangen und beständig weitergemacht, wo die Frauen- und Lesbenbewegung erst viel später gelandet ist: bei der Konstruktion positiver Eigenidentitäten, der narzisstischen Beschäftigung mit nichts anderem als sich selbst oder seiner Party und Einverleibung von Fremden als exotische Garnierung für die deutsche Hausmannskost. Suspekte Identitätspolitik betrieben aber alle linken Bewegungen. Die Chile-Solidarität setzte erst 1973 nach dem Putsch ein, der als vom US-Imperialismus inszeniert galt. Für das sozialistische Experiment in Chile interessierte sich vor 1973 in der BRD niemand. Erst als es zu spät war, kamen alle möglichen und unmöglichen linksradikalen und linksliberalen Gruppen zusammen, um dem geschundenen chilenischen Volk beizustehen. Zum Lieblingsmotiv avancierte die chilenische Nationalflagge, die auf wirklich jedem Plakat der Chile-Solidarität auftaucht. Rätselhaft bleibt hingegen, warum für Straßenmilitanz in den westlichen Metropolen immer der unerschrockene männliche Streitfighter herhalten musste, der Kampf der trikontinentalen Befreiungsbewegungen dagegen am liebsten mit schönen oder verschleierten Frauen bebildert wurde. Der Lokalpatriotismus macht sich im Buch in Form von vier Berichten aus der Provinz breit: Bremen, Düsseldorf, Nürnberg und Hannover. So erklären uns die Bremerinnen, wie der kapitalistischen Entfremdung zu widerstehen ist, nämlich mittels Siebdruck ...ein ziemlich spannendes Unterfangen. Jedes Plakat ist tatsächlich ein Einzelstück, das manuelle Verfahren bringt regelrecht handwerklichen Spaß und die Entstehung, von der Idee über das Drucken bis hin zur Resonanz, zu verfolgen, verbindet Siebdruckerinnen ganz speziell mit ihrem Werk. Ein Blick über den Tellerrand liefert der letzte Beitrag, der sich mit der Plakatkultur in anderen Ländern beschäftigt. Neben den links-autonomen Bewegungsplakaten haben da auch Plakate der Befreiungsbewegungen; und der befreiten Länder (China Die Sauberkeit lieben, Kleine Gäste im Mondpalast) und Kuba ihren Platz. Die meisten Abhandlungen im Buch geben einen guten und kurzweiligen Einblick in die jeweilige Bewegungsgeschichte; die Texte zu Solidarität, Militanz, Antisemitismus, linker Ästhetik, Kommunikationsguerilla überzeugen mit ihren kritischen und analytischen Einleitungen, die sich auf der Höhe der Zeit bewegen und die Grenzen linker Theoriebildung ausloten. (Sobald es praktisch wird, fangen einige AutorInnen dann allerdings an zu schwimmen: So klären uns die Layout-Profis in Ein kleiner Leitfaden zur Gestaltung und Betrachtung von Plakaten; zum Beispiel bei jedem Thema, das sie anreißen, darüber auf, dass mensch dazu auch ein Buch schreiben könne, der Platz hier aber nicht ausreiche und deswegen sie auch schon zum nächsten Thema übergehen würden, ohne auch nur irgend etwas substantielles zu sagen.) Aufgrund der umfangreichen Bebilderung können die Texte allerdings nur als Appetitanreger dienen, wer mehr wissen will, sollte sich in der entsprechenden Fachliteratur umsehen. Einige krude Textstellen wären allerdings nicht ein Fall für eine Rezension gewesen, sondern für´s Lektorat. Mit der Bitte um Änderung geben wir zurück: Erstens die Behauptung in dem ansonsten interessanten Beitrag über Scherben-, Punk- und Pop-Plakate Heiter bis wolkig zerbrachen letztendlich am Sexismusvorwurf, den eine ihrer Szenen provozierte (so kann mensch einen Vergewaltigungsvorwurf gegen ein Bandmitglied also auch bezeichnen); zweitens die Assoziation der Autorin des unsäglichen (weil nicht aus einer autonomen sondern entwicklungspolitischen-christlichen und somit völlig uncoolen Perspektive geschriebenen) Beitrages Die Plakate der Anti-Apartheid-Bewegung von Behausungen von südafrikanischen WanderarbeiterInnen mit KZ-Baracken. Drittens die nach Totalitarismus klingende These: In der bewaffneten Auseinandersetzung BRD gegen die RAF schenkten sich beide Seiten nichts. Dem Lektorat hätte übrigens auch auffallen müssen, dass einem Plakatbuch ohne Verweis auf die Göttinger Gruppe Kunst und Kampf, egal was mensch von ihr halten mag, etwas fehlt oder war die Auslassung gar Absicht? Keine Ahnung, welche von beiden Varianten armseliger ist...
Es gibt neuerdings zwei Wege zu einem guten Plakat: Entweder mensch studiert das Buch von vorn bis hinten, macht sich das Credo Schlaglöcher statt Schlagworte (Verunsicherung des vorherrschenden Blickes anstatt Selbstvergewisserung der eigenen Szene) zu eigen, lernt von den Fehlern und Erfahrungen der Vergangenheit und macht sich dann an die Arbeit. Oder aber mensch schiebt die CD in den Computer, schmökert ein wenig, lädt sich das Lieblingsplakat herunter und ersetzt bei Bedarf Zeit und Ort. In beiden Fällen kommt ihr allerdings nicht an dem Buch + CD vorbei. Also: kaufen! Klara

Fußnote
z.B. Neidhardt, Irit/Bischof, Willi (Hrsg.): Wir sind die Guten. Antisemitismus in der radikalen Linken, Unrast: 2000; autonome L.U.P.U.S.-Gruppe: Die Hunde bellen... Von A bis RZ. Eine Zeitreise durch die 68er-Revolution und die militanten Kämpfe der 70er bis 90er Jahre, Unrast: 2001Anmerkung : Beide Plakatbücher können im Infoladen Leipzig ausgeliehen werden.

Zwischenbemerkungen:
Wahrlich überraschende Zusammenhänge, die sich erst nach dem aufmerksamen Studium beider Bücher offenbaren...Während 1961 in Neustadt die BürgerInnen gegen Schundliteratur das waren in ihren Augen Kriminalgeschichten, die für die Zunahme von Banküberfällen verantwortlich gemacht wurden demonstrierten, organisierten die Autonomen Jahre später einen Kriminellenkongreß, auf dem Banküberfälle propagiert wurden.
"Auch wenn ein Weg von Rudi Dutschke zu Gerhard Schröder führt, ebenso wie einer von Elvis zu Bon Jovi, so war das Resultat nicht unvermeidlich. Was sich im Nachhinein als Modernisierung der Ausbeutungsverhältnisse darstellt, besaß in seinem Verlauf einen utopischen Überschuss, den zumindest zu dokumentieren auch eine Aufgabe dieses Plakatbuches darstellt" (Michael Koltan im Buch).
Für alle visuell veranlagten Menschen dürften die im Buch dokumentierten Plakate der Grünen eine bessere Abrechnung mit dieser Partei und deren "utopischen Überschuss" darstellen, als alle verbalen Abhandlungen (siehe z.B. review-corner: Das waren die Grünen")

zum Anfang

 

Patrick Hagen
Unkontrollierte Plakate
in philtrat nr. 45 - Januar/Februar 2002

Plakate können mehr sein als bloße Zeit- und Ortsangaben für die nächste Demonstration. Mit ein Grund dafür, dass sich in dem neuerschienenen Buch Vorwärts bis zum nieder mit, einer Sammlung von Plakaten "unkontrollierter Bewegungen" aus den letzten dreißig Jahren auch ein "kleiner Leitfaden zur Gestaltung und Betrachtung von Plakaten" findet.
Anhand der abgedruckten Plakate und der beigelegten CD-ROM mit weiteren 8300 Plakaten kann sich jedeR selbst davon überzeugen, dass einigen Plakaten das Beachten eines solchen Leitfadens nicht geschadet hätte. Die GrafikerInnen Rainer M. und Sandy k. kritisieren die vermeintliche Trennung von Inhalt und Form bei der Plakatgestaltung. Dies führe dazu, dass die meisten Plakate "in der Regel nur als ein Zusatz zur Aktion und nicht als politisches Handeln begriffen" werden. Das Plakatbuch ist die Fortsetzung des 1999 erschienenen Hoch die Kampf dem, in dem hauptsächlich Plakate der autonomen Bewegung versammelt waren. Wie im Vorgängerband werden die thematisch sortierten Bilder von begleitenden Beiträgen verschiedener AutorInnen reflektiert. In vorwärts finden nun auch Plakate von im ersten Band vernachlässigten Bewegungen ihren Platz, wie die Lesben- und Schwulenbewegung und die K-Gruppen. Außerdem ist der Zeitrahmen weiter gefasst: Das früheste dokumentierte Plakat stammt aus den Sechzigerjahren - lange vor Entstehung der autonomen Bewegung, die jüngsten Plakate wenden sich gegen den Krieg in Afghanistan.
Zudem findet sich in vorwärts ein Kapitel zu Antisemitismus in linken Bewegungen. Elfriede Müller von der jour-fixe-initiative Berlin thematisiert in ihrem Beitrag …, dass Auschwitz nicht noch einmal sei Plakate, die aus ihrer Sicht "antisemitisch sind, oder antisemitische Assoziationen wecken". Neben Plakaten, die Zionismus mit Faschismus gleichsetzen, finden sich vor allem Plakate, die antisemitische Stereotype reproduzieren: Kapitalisten mit Zigarre und Zylinder ziehen im Hintergrund die Fäden. Ausgangspunkt dafür ist laut Müller die "spontane Assoziation von Juden mit Kapitalismus, Kosmopolitismus und Abstraktheit". Das Kapitalismusverständnis der traditionellen, wie auch der Neuen Linken und der autonomen Bewegungen habe "Anschlussflächen zu antisemitischen Denkfiguren" enthalten.
Manche der Schwerpunktthemen lassen den Eindruck entstehen, dass die Auswahl stark von dem Ziel alle auffindbaren Plakate zu dokumentieren, dominiert wurde. Angesichts der häufig kritisierten Geschichtslosigkeit der autonomen Bewegung ein ehrenwertes Ziel. Wer aber nicht ein möglichst umfassendes Plakatarchiv zu Hause haben muss, dem/der reicht einer der beiden Bände. Die sehenswerteren Exemplare finden sich mit Sicherheit im Vorgängerband Hoch die Kampf dem, der hiermit noch einmal wärmstens empfohlen sei.

zum Anfang

Lena Schwarzkopf
Vorwärts bis zum nieder mit
kassiber 49 (Bremen) - Mai 2002 Bücher (II)

Mit dem neuen Plakatbuch "HKS 13: vorwärts bis zum nieder mit - 30 Jahre Plakate unkontrollierter Bewegungen" wurde im Dezember 2001 die Fortsetzung des vor 2 1/2 Jahren erschienenen Buchs "hoch die kampf dem - 20 Jahre Plakate autonomer Bewegungen" herausgebracht. Das Kürzel "HKS 13" steht dabei nicht nur für die Herausgeber der beiden Bücher, sondern auch für das drucktechnisch klassische Offset-Rot, das unzählige Plakate schmückt.
Legte das erste Buch noch den konzeptionellen Schwerpunkt auf Plakate der autonomen Bewegung der 80er und 90er Jahre, reicht die neue Zusammenstellung "plakativer Dokumente" aus der Geschichte linker emanzipatorischer Bewegungen von 1963 bis hin zu neusten Antikriegsplakaten. Mehr als 800 Plakate werden im Buch vorgestellt, insgesamt 8.300 sind in digitalisierter Form auf einer beiliegenden CD-Rom archiviert. Leider funktioniert die Suchmaschine der CD unabhängig ob PC oder MAC einfach nicht. Dafür steht das komplette Plakat-Archiv samt funktionstüchtiger Suchmaschine mittlerweile im Internet (http://plakat.nadir.org).
Die 25 thematisch gemischten Beiträge verschiedener AutorInnen, die in "vorwärts bis zum nieder mit" zusammengestellt sind, arbeiten die Bedeutung des politischen Plakates als Speichermedium von Ereignissen und Entwicklungen linker Bewegungen in Deutschland und einigen anderen Ländern ab. Neben Beiträgen zu den nach Einschätzung der Herausgeber im ersten Buch "vernachlässigten Teilbereichsbewegungen" wird u.a. auf Plakate der Lesben- und Schwulenbewegung, zu Aktionen gegen Sport-Großereignisse und zu Gentechnik eingegangen. Andere Beiträge greifen sich Aspekte heraus, die sie an Plakaten verschiedener Bewegungen reflektieren, so z.B. in "ein plakativer Streifzug durch Gewalt und Militanz", die "Macht und Ohnmacht der Symbole" und im Beitrag zu Antisemitismus in linken Plakaten.
Mit dem professionellen Layout beschäftigt sich "Das gute Plakat" durch illustrative Anregungen zur Plakatgestaltung. Im Artikel "Vor allem antiplakativ" stellt sich die Bremer Siebdruckgruppe blutdruck vor, die seit Januar 2000, damals noch unter dem Namen antiplakativ, die Siebdruckwerkstatt der Jugendinitiative Sielwallhaus e.V. neu belebte. Darüber hinaus sind auch Plakate zu Bewegungen des 21. Jahrhunderts (Krieg, Antiglobalisierung bzw. der damit nötig gewordenen Antirepressionsarbeit) aufgenommen worden.
Eine zeitgeschichtliche Aufarbeitung bieten die Beiträge zu Plakaten der außerparlamentarischen Opposition (APO), der ML-Bewegung (mit dem treffenden Titel "Weimarer Flaschenpost", denn beim Anblick der Plakate meint mensch mehr als 30 Jahre Plakatgeschichte vor sich zu haben) und zu Plakat-Dokumenten im Zusammenhang mit dem bewaffneten Kampf der RAF. Es gibt auch einen Beitrag zu Plakaten der Grünen, der aus heutiger Sicht allerdings bei der Rezensorin wirklich nur das vom Autor in seinen Rechtfertigungsversuchen vorhergesagte Schmunzeln auslöste.
Unter der provokanten Rubrik "Linksradikale Plakatkunst in der Provinz" stehen die Beiträge aus Düsseldorf, Nürnberg und Hannover. Dabei stellen sich AutorInnen des Hannoveraner Beitrags zu Unrecht unter den Scheffel, wenn sie die fehlende Professionalisierung ihrer Plakatherstellung bedauern. Ihre Plakate, z.B. die bekannte Sprengel-Plakat-Serie, brauchen sich trotz Schnippel-Layout mitnichten hinter denen der "BO-Schule" zu verstecken.
Die Widmung des Buches gilt den unbekannten "wilden" PlakatkleberInnen, durch die politische Plakate überhaupt erst ihre Wahrnehmbarkeit in der Öffentlichkeit und ihre Mobilisierungskraft erreichen. Das im Editorial vorgestellte Göttinger Mobilisierungsplakat "smash capitalism - für das ende der gewalt" konnte diese Funktion leider nicht mehr erfüllen: Am 10.9.2001 gedruckt, mußte es einen Tag später unverbreitet wieder eingestampft werden, weil einstürzende Hochhäuser mit dem 11. September eine etwas fragwürdige Aktualität erhalten hatten.
"Vorwärts bis zum nieder mit" - für viele wohl auch eine plakative Zeitreise in die eigene Vergangenheit - ist nicht nur für alle Plakatbegeisterten eine lohnende Anschaffung. Und das trotz des nicht ganz geringen Kaufpreises dieses Mal kein Hardcover übriggeblieben ist, muss wohl den hohen Entstehungs- und Druckkosten eines solchen Buchprojektes geschuldet werden.

zum Anfang


Martin Raasch (raa)
Vorwärts bis zum nieder mit ...
in UnAufgefordert (StudentInnenzeitung der Humboldt-Uni Berlin) Nr. 125 / Januar 2002, S. 31

"Wie gestalten wir unser leben in einer Welt, deren Ordnung und Art von Selbstverständnis ständig durch Bilder (oder vielmehr Kombinationen, Nebeneinanderstellungen von Visuellem und verbalem) geformt und umgeformt wird. Wie gestalten wir unser leben aus einer begrenzten reihe von Möglichkeiten und wie gestalten jene unser leben, die die Macht besitzen? Nur beim hartnäckigen Insistieren auf beiden Extremen einer solchen Frage wird deutlich, dass die Politik der Darstellung und die Darstellung der Politik untrennbar miteinander verbunden sind."
J.E. Lundsroem

Das Autorenkollektiv HKS 13 liefert mit dem Sammelband "Vorwärts bis zum nieder mit" eine Dokumentation über 30 Jahre visuellen Straßenkampf in der "unkontrollierten Bewegung". Die akribische Sammlung knüpft thematisch an das vor zwei Jahren erscheine Buch "Hoch die Kampf dem" an, das sich dem autonomen Plakat widmete. Der thematischen Erweiterung verdankt das Buch ein breiteres Themenspektrum. Erhellend ist das Kapitel "Die Erde von unseren Kindern nur geborgt", in dem die politische Entleerung der Grünen dokumentiert ist. Die umfangreiche Dokumentation des Solidaritätsplakates nimmt im Begleittext auf der nach dem 11. September aktuell gewordenen Instrumentalisierung Bezug. Auch die derzeitige Antisemitismus-Debatte findet ihr Kapitel. Ebenfalls bemerkenswert: Ein Gespräch mit Gerdi Foss, Gründungsmitglied von AGIT-Druck, einer mittlerweile kommerziellen Druckerei, die mit der Reproduktion heikler politischer Schriften in die APO-Annalen eingegangen sind. Neben einem Kapitel über Gestaltungsregeln für politische Plakate findet sich im Buch eine CD-Rom mit über 8.000 Plakaten, die sich sauber nach Schlagworten durchsuchen lässt.
Eine gigantische Arbeit mit hohem inhaltlichen Anspruch, die den deutlichen Qualitätssprung der autonomen Szene in ihrer visuellen Selbstdarstellung dokumentiert

zum Anfang

Michael Schäfer
Marx, Engels und Lenin selbdritt / "vorwärts bis zum nieder mit": 30 Jahre Polit-Plakate
Göttinger Tageblatt vom 16.1.2002

Wenn es nur lange genug her ist, wird aus allem Nostalgie. Das ist bei der eigenen Jugend der fall, bei der Erinnerung an die goldenen Zeiten der DDR - und auch bei etlichen politischen Plakaten, über die sich Menschen aus vielerlei Gründen erregt haben. Die einen, weil sie die dort angepeilten Ziele nicht erreicht haben, die anderen, weil sie diese Ziele schon immer für ideologisch völlig falsch gehalten haben.
"vorwärts bis zum nieder mit" heißt - nicht ohne Selbstironie - das neu erschiene Buch, das Plakate aus 30 Jahren "unkontrollierter Bewegungen" vorstellt. Erscheinen ist es in der Verlagsgruppe "Assoziation A", an der auch der verlag des Göttinger Buchladens Rote Strasse beteiligt ist. Das thematische Spektrum reicht von außerparlamentarischer Opposition längst vergangener CDU-SPD-Koalitionen über Lesben und Schwule, Punk und Pop, Sport, die Hausbesetzerszene und diverse Solidaritätsaktionen bis zu Anti-AKW-, Anti-Globalisierung- und zahlreichen weiteren Anti-Kampagnen. Hier und da grüßt ein vertrautes Motiv, das Klaus Staeck gestaltet hat, und ältere zeitgenossen werden sich auch an das legendäre SDS-Plakat erinnern, in dem Marx, Engels, und Lenin 1968 selbdritt die Bundesbahn-Werbung "Alle reden vom Wetter. Wir nicht" höchst wirkungsvoll persiflieren.

Bildersaal der Geschichte
Der Band - Fortsetzung des vor zwei Jahren im selben Verlag erschienen Werkes "hoch die kampf dem" mit Plakaten aus 20 Jahren autonomer Bewegungen - ist aber nicht nur ein Bildersaal zur Geschichte der vergangenen 30 Jahre aus linkem Blickwinkel. Er liefert darüber hinaus in zahlreichen Aufsätzen aufschlussreiche politische und ästhetische Analyen und Interpretationen bis hin zu einem "kleinen Leitfaden zur Gestaltung und Betrachtung von Plakaten" zweier freier Garfiker, die als Rainer M. und Sandy K. zeichnen.
Zu einem umfassenden Archiv wird die Edition dank einer beigelegten CD-Rom, auf der mehr als 8.300 (kein Druckfehler: achttausenddreihundert) politische Plakate archiviert sind. "Vorwärts bis zum nieder mit" ist ein spannendes Buch für politische wache Zeitgenossen, ein Blick zurück (und nach vorn) mit und ohne Zorn.

zum Anfang
Ohne Namen
vorwärts bis zum nieder mit
18.06.2002, 17:51, Links/Rhein, Medien | Konstanz | Veranstaltung

Etwa 25 Leute kamen gestern Abend in die Studiobühne an der Uni Konstanz um Markus Mohr bei seinem Dia-Vortrag über 30 Jahre nicht nur autonomer Plakatkunst in Deutschland zu lauschen Bei dem vorwiegend studentischen Publikum war die Konstanzer Linke deutlich unterrepräsentiert. Als Veranstalter traten der Kultur-AK des AstA sowie die Infogruppe B² auf. Die Berliner Gruppe HKS13 (der Name stammt von der Bezeichnung der Drucker für das auf linken Plakaten typischerweise vorkommende Rot) sammelte in jahrelanger Kleinarbeit ca. 8500 Plakate, fotografierte sie, recherchierte den Entstehungskontext und veröffentlichte Teile davon vor 2 Jahren in dem Buch "hoch die kampf
den - 20 Jahre Plakate autonomer Bewegung".
In ihrem neuen Buch "vorwärts bis zum nieder mit - 30 Jahre Plakate unkontrollierter Bewegung" wurde sowohl der inhaltliche als auch der zeitliche Fokus erweitert. Es sind nun Plakate bis zurück zur Studentenrevolte (ab Ende der 60er Jahre) enthalten und der thematische Kreis wurde auf sämtliche linken emanzipatorischen Gruppen ausgedehnt. Die Produktionsbedingungen für dieses "größte Plakatarchiv im deutschsprachigen Raum" waren, wie der Referent versicherte, bescheiden: die Plakate wurden mit einer selbstgebastelten Saugvorrichtung an einer Stellwand fixiert und mit einer Spiegelreflexkamera und einer Digitalkamera abfotografiert.
Das von der HKS 13 herausgegebene Buch (s.u.) bildet mit 800 Farbfotos zwar nur einen Bruchteil der Plakate ab (die restlichen Fotos werden in Form von komprimierten und teilweise nicht mehr leserlichen Bildern auf CD mitgeliefert), aber dessen eigentliche Stärke liegt eh woanders. In gut zwei dutzend Artikel versuchen unterschiedliche Autoren unter Themen wie die Gewalt- und Militanzfrage, Antisemitismus auf Plakaten und Plakate gegen Antisemitismus, Häuserkampf, K-Gruppen, die Entwicklung der Grünen etc. die fast unüberschaubar grosse Plakatmenge zu strukturieren, ihren politischen Kontext zu rekonstruieren und kritisch zu diskutieren.
Ähnlich war auch der Vortrag von Markus Mohr aufgebaut. In seinem nicht unkomischen und mitunter selbstironischen Streifzug durch linke Plakatkunst demonstrierte er anschaulich, mit welchen grafischen Mitteln und welcher Bildersprache die z.T. sehr heterogenen Bewegungen mit unterschiedlichem Erfolg versucht haben, die Öffentlichkeit zu erreichen. Dort wo die Gruppe die PlakatentwerferInnen ausfindig machen konnte, hatte sich manchmal herausgestellt, wie sehr die Interpretation eines Plakats von der Intention der AutorInnen abweichen kann. Und lange nicht alle Plakate die vor 20 oder 30 Jahren geklebt wurden, würden mit den Aussagen, die sie transportieren, heute noch als politisch korrekt durchgehen. So ist heute kaum mehr angesagt, sich auf ein "Volk" oder eine nationale Befreiungsbewegung zu beziehen, was in den 70er Jahren in der antiimperialistischen Szene ja durchaus verbreitet war. Als krass negatives Beispiel wurde auch ein Plakat der Palästinasolibewegung von 1989 gezeigt, das Hitler neben dem israelischen Premierminister Begin über dem Text "Wir wollen Faschismus" zeigt. Darüber hinaus sprach sich Markus Mohr grundsätzlich dafür aus, Anschlussflächen für Antisemitismus oder Aussagen, die auch Rechte ansprechen, auf Plakaten zu meiden.
Es gab und gibt durchaus viele Gründe gegen Atomkraftwerke zu sein (konservativ bis links, Umweltschutz bis Antirepression), was sich eben auch in den Plakaten der Antiatombewegung widerspiegelt. Nicht immer ist erkennbar, dass ein Plakat ein linkes Plakat ist. Ein schlechtes Plakat ist nach Markus Mohr auch eines, das zu textlastig ist. Die Leute wollten eben nicht einen langen Text lesen, wenn sie vor einem Plakat stehen. Ausschlaggebend für die Qualität sei letztendlich jedoch immer die Mobilisierungsfähigkeit eines Plakats, und nicht die aufwändige Technik seiner Herstellung. Und gerade Plakate, die mit einfachsten Mitteln (ohne PC-Einsatz) hergetellt wurden, können eine hohe Ausdruckskraft besitzen.
Als letztes Plakat zeigte Markus Mohr ein aktuelles Plakat der Antiglobalisierungsbewegung, mit dem tot am Boden liegenden Carlo Guiliano und dem Schriftzug "Mörder! Kapitalismus tötet" Dieses Plakat vermittle keine Idee von Solidarität und sei somit eigentlich schlecht gelungen. Als Benneton Plakat wäre es möglicherweise ausgezeichnet. Dem wurde in der unmittelbar darauf folgenden Diskussion teils zugestimmt, teils widersprochen. Insbesondere wurde bemerkt, das der Verweis auf Benetton trägt nicht, da die Motive der Benetton Werbung ihres Kontextes entledigt sind, was ja bei diesem Genua-Soliplakat keineswegs der Fall ist. Diese gelungene und kurzweilige Veranstaltung hätte schon ein paar mehr Leute - vor allem aus der Konstanzer Linken - verdient gehabt.
Ich denke zwar, dass neue elektronische Medien heute zunehmend wichtig sind für die Mobilisierung zu Veranstaltungen, das heißt aber nicht, dass Plakate ausgedient hätten. Sie spielen auch weiterhin eine bedeutenden Rolle bei Mobilisierungen und in Besitznahme von öffentlichem Raum.

zum Anfang

Ohne Namen
Vorwärts bis zum nieder mit ...
Phase 2 (Zeitschrift gegen die Realität / Leipzig) Nr. 4 / Mai 2002

Sei hiermit allen Plakatwütigen ans Herz gelegt. Im vergleich zum an den Plakaten der autonomen Bewegung in den 80er und 90er Jahren orientierten "hoch die kampf dem - 20 Jahre Plakate autonomer Bewegungen" hat sich der Nashfolgeband von der Enge des deutsch-autonomen Alltags gelöst und auch den begriff des politischen Plakates etwas weiter gefasst. Das Buch ist mit Liebe gestaltet und randvoll mit Kunst und linker Geschichte der letzten 30 Jahre. Leserinnen und PlakatgestalterInnen denen das noch nicht genug ist, finden auf der beigelegten CD mit über 8000 Plakaten massenhaft anregendes Material.
Neben eher analytischen Aufsätzen wie einem Text zu Antisemitismus enthält das Buch auch Bauanleitungen für Plastikästhetik, Punk und Pop-Plakate und Werbeplakate für Lesebenpartys. Nicht alle Abbildungen sind ein Augenschmaus: die meisten Plakate der ML-Bewegung kommen mit eher hölzerner Ästhetik daher und auch die Grünen finden sich wohl eher im Buch wieder um durch den Kakao gezogen zu werden.
Das Kapitel Eine andere Welt ist möglich ... andere Plakate nur teilweise, knöpft sich die Erzeugnisse der Antiglobalisierungsbewegung vor. "By any means necessary" - Ein plakativer Streifzug durch Gewalt und Militanz auf Plakaten unterzieht die unterschiedlichen Darstellung von Militanz einer Bewertung. Das letzte Kapitel widmet sich in einem schnellen Streifzug der internationalen Plakatszene und hätte das AutorInnenkollektiv nicht schon angedroht, wegen Arbeitsüberlastung und Finanzmangel keinen weiteren Band herauszubringen, könnten die Fans schon auf die Komplettierung ihrer Sammlung durch ein internationales Plakatbuch hoffen

zum Anfang

Tobias Nagl
Visionen unkontrollierter Bewegungen
Präsentation im Schanzenbuchladen: Das Plakatbuch "Vorwärts bis zum nieder mit"
taz Hamburg vom 5.3.2002, Seite 23

Autonome plakatierten gern und häufig: in Autonomen Jugendzentren, besetzten Häusern oder - während der schlimmsten Hochzeiten der Alternativbewegung - auch schon mal in der WG-Küche oder über dem eigenen Futon. Verstand sich die Bewegung eben immer auch als Subkultur, die nicht zuletzt mit der alten Forderung rang, das Private zu politisieren. So wie die Trennung gesellschaftlicher Sphären tendenziell im Postfordismus aufgehoben - und kein bisschen emanzipatorisch - ist, wirken manche der in dem Band Vorwärts bis zum nieder mit versammelten Plakate wie enorm verspätete Echos aus einer längst vergangenen Zeit.
Wie die Geschichte eines jeden Keingärtnervereins ließe sich so auch eine Geschichte der Autonomen und anderer "unkontrollierter Bewegungen" der letzten 30 Jahre schreiben. Und genauso leicht endete ein derartiges Unterfangen in der kulturpessimistischen Musealisierung - diverse Historiker der 68er-Revolte haben es vorgemacht. Trotz Coffetable-Book-Qualitäten gehen die Plakatarchivare um das Druckerkollektiv HKS 13 wohltuend anders vor. Ihnen geht es weder um die möglichst geräuschvolle Verabschiedung radikaler linker Positionen noch um eine Nostalgie, die die eigene Weiterexistenz zum politischen Sieg verbrämt, ohne veränderte Rahmenbedingungen anzuerkennen. Vor zwei Jahren versammelten sie in Hoch die kampf dem Exponate aus "20 Jahren autonomer Bewegungen" zu einer Mentalitäts- und Kulturgeschichte, die mit dem eigenen Lager hart ins Gericht ging. Vom Kifferkitsch der späten 70er Jahre über kindliche Verniedlungsstragien bei der Anti-Repressionsarbeit bis hin zum Proletkult-Kult mancher Antifas untersuchten sie linksradikale Plakate auf übersehene Bedeutungen, Verkürzungen und Projektionen - mit einer destruktiven Lust, für die nicht nur Bakunin, sondern auch Roland Barthes Pate gestanden haben muss.
Mit Vorwärts bis zum nieder mit erweitern die sammelwütigen Semiotiker das Spektrum in zweierlei Hinsicht: Die frühesten Plakate stammen aus der Apo-Frühphase Anfang der 60er Jahre; der Untertitel "unkontrollierte Bewegungen" verweist auf das Ziel, sich nicht auf die Plakate der Autonomen allein zu beschränken. Neben Plakaten der Chile-Solidarität oder Anti-Apartheid-Bewegung, finden sich Kapitel zu den Bilderwelten der Grünen und der maoistischen K-Gruppen. Aber auch die Repräsentationsstrategien und Probleme der lesbischen und schwulen Bewegungen der Gegenwart werden einer Untersuchung unterzogen. Eine beigelegte CD-Rom hält über 8000 Abbildungen zum Selbststudium bereit; ein weiterer Beitrag gibt praktische Nachhilfe in Sachen Grafikdesign. In den besten Momenten gelingt es den analytischeren Texten des Bandes, die Geschichte der Linken und die Geschichte eines "linken Imaginären" durch die Plakate hindurch zu schreiben, in den schwächeren Momenten reihen sich Organisationsgeschichte und Gestaltungsstrategien bloß additiv; das Visuelle erscheint als Aufhänger für eine eigentliche Geschichte, die auch ohne ihre Plakate hätte stattfinden können.
Heute, 20 Uhr, Buchladen im Schanzenviertel (Schulterblatt 55)

zum Anfang

 

marius schiffer
30 Jahre Plakate unkontrollierter Bewegungen / Plakatbuch die Zweite
Bochumer Stadt- & Studierendenzeitung - bsz / Juni 2002

1999 gab die Gruppe HKS 13 das Plakatbuch "Hoch die Kampf dem" heraus, in dem Plakate autonomer Bewegungen aus einem Zeitraum von 20 Jahren präsentiert wurden. Nun liegt nach zwei Jahren intensiver Arbeit die Fortsetzung vor. Die HerausgeberInnen erweiterten den Blickwinkel sowohl thematisch als auch zeitlich. So lautet der jetzige Untertitel "30 Jahre Plakate unkontrollierter Bewegungen".
Die einzelnen Aufsätze beschäftigen sich mit der Außerparlamentarischen Opposition (APO), den
K-Gruppen, der Schwulen- und der Lesbenbewegung, Gentechnik, Musik, Chile-Solidarität, Anti-Apartheid, Knast und Isolation. Auf die Grünen, die sich längst von jeder emanzipatorischen Bewegung entfernt haben, wirft Markus Mohr ein wenig schmeichelhaftes Schlaglicht und in einem abschließenden Artikel wird über den eigenen (deutschen) Tellerrand auf "politische Plakate anderswo" geblickt. Um die dominierende Präsentationsperspektive der großen Städte Hamburg, Berlin und Frankfurt in Ansätzen zu durchbrechen, werden jeweils die politische Plakatkultur in Düsseldorf, Hannover und Nürnberg dargestellt. Ergänzt wird dieses Spektrum durch Beiträge zu Gewalt und Militanz sowie der optischen Symbolisierung des Begriffs Solidarität in Plakaten der Linken. Zudem werden Impulse zur Plakat-Praxis beigesteuert: ein kleiner Leitfaden zur Herstellung und Betrachtung von Plakaten, zur Imagebeschmutzung von der autonomen a.f.r.i.k.a.-gruppe (Handbuch der Kommunikationsguerilla), Siebdruck der Gruppe blutdruck aus Bremen. (...) Besonders hervorzuheben sind die Beiträge von Dario Azzellini zur sogenannten "Antiglobalisierungsbewegung" und zu Antisemitismus von Elfriede Müller, die unabhängig von der vorliegenden Veröffentlichung lesenswert sind.
Die Kritik, in den Beiträgen werde insgesamt zu wenig Bezug auf die Motive genommen (vgl. Rezension von hmk in 2313, Nr.28), lässt sich für das zweite Plakatbuch nicht aufrechterhalten. Von Ausnahmen abgesehen harmonieren die Grafiken mit den Inhalten der Texte. Die Aufmachung des Buches lässt erneut kaum zu wünschen übrig; lediglich bei den sehr textlastigen Plakaten ist eine Lupe vonnöten. Schade nur (zumindest für die Bibliophilen unter euch), dass es diesmal nicht zu einem Festeinband gereicht hat wie bei Plakatbuch Nr. 1.
Unter den mehr als 800 im Buch abgedruckten Plakaten dürfte so ziemlich jedeR Linke das ein oder andere entdecken, das ihm/ihr bekannt ist (so finden sich aus Bochum der Flyer der Genua-Soli-Party im KuCa Ende September 2001, S.44, und das LiLi-Wahlplakat von 1998, das fälschlicherweise Frankfurt als Ort angibt, S.117). Die beiliegende CD-ROM enthält ca. weitere 7.200 (!) digitalisierte Plakate im JPEG-Format. Darin sind auch sämtliche Bilddateien der CD-ROM des ersten Buches inbegriffen. Insofern erscheint die Annahme der HerausgeberInnen, der Leser, die Leserin halte mit dieser CD-ROM das "größte elektronische Plakatarchiv im deutschsprachigen Raum in den Händen", keineswegs vermessen. Und dies für einen mehr als fairen Preis von rund 50,- DM. So ist jedeR eingeladen, anhand der Materialfülle, die sich über ein Suchprogramm gut erschließen lässt, die eigene Geschichte Revue passieren zu lassen, Ideen für eigene Plakate zu suchen, nachdenkliche und amüsante Momente zu erleben oder einfach zu stöbern.


zum Anfang


Joachim Schneider
Das Poster zum Kampf
Badische Zeitung vom Dienstag, 18. Juni 2002

Die Ausstellung "vorwärts bis zum nieder mit - 30 Jahre Plakate unkontrollierter Bewegungen"
Gedacht sind sie für den Moment. Flüchtig hingeklebt, hängen sie manchmal nur einen Tag an Mauern, Stromkästen, Telefonhäuschen, in Kneipen - einige schaffen es bis in die WG übern Küchentisch: Das politische Plakat dient zur Kommunikation, zur Propaganda, zur Mobilisierung. Es ist Ausdruck der Selbstdarstellung, das Poster zum Engagement versteht sich stets auch als Teil der Subkultur. Das Buch "vorwärts bis zum nieder mit" mit CD-ROM dokumentiert Plakate "unkontrollierter Bewegungen" in Deutschland aus drei Jahrzehnten, von der Schwul-Lesben-Bewegung bis zur Anti-Globalisierung von "Rock gegen Rechts" bis zu "Stammheim". Unter gleichem Titel zeigt das Archiv für Soziale Bewegungen in Freiburg eine Ausstellung mit lokalen Exponaten, zur Eröffnung halten Markus Mohr und Klaus Viehman vom Herausgeberkollektiv HKS 13 heute einen Dia-Vortrag.
Das Freiburger Archiv wurde Anfang der 80er-Jahre gegründet, seit damals sammelt es neben Zeitschriften und Dokumenten auch Plakate. Gut 2000 Stück lagern in Schubläden oder digitalisiert auf der Festplatte, zählt man die kleineren DIN-A3-Formate mit - von den heftgroßen Blättern ganz zu schweigen. Fast ein Zehntel der 8300 Exemplare, die auf der CD-ROM verewigt sind, stammt aus dem Südwesten. "Gemessen an der Einwohnerzahl gibt es hier eine ungeheure Plakat-Produktion", sagt Volkmar Vogt vom hiesigen Archiv.
Die ästhetische Entwicklung in den Metropolen wie Berlin, Hamburg oder Frankfurt schwappte auch in die Provinz. Hochkopierte, mit Schreibmaschine voll geschriebene Blätter, dazu wenige dokumentarische Fotos, erinnern an alte Flugschriften und hielten sich bis in die Zeiten der Anti-Wyhl-Bewegung. Schon seit Ende der 60er gab es immer auch Ausnahmen, aber damals vertrauten politische Plakate noch auf das Wort und verlangten damit vom Betrachter, dass er sich Zeit nimmt und liest. Aufklärung, Kritik stand im Vordergrund.
Längst arbeitet die Werbeindustrie mit subkulturellen Tabubrüchen
Mittlerweile setzen Plakate fast ausschließlich auf die Macht des Bildes, zum einen auf die Visualisierung von Identifikationsmustern, zum anderen auf Provokation, den Angriff auf staatliche, institutionelle und etablierte Symbole. Mit dem Computer ergaben sich technische und gestalterische Möglichkeiten, die denen der professionellen Designer in nichts mehr nachstehen - und andererseits arbeitet die Werbeindustrie inzwischen mit linken und subkulturellen Begriffen, Tabubrüchen und Provokationen: Eine Unterscheidung der Form ist kaum mehr möglich, die Abgrenzung von Oberflächen gestaltet sich schwierig; es sei denn man greift auf die Self-made-Trash-Ästhetik der 80er zurück und setzt sich dem Vorwurf der Geschichtsseligkeit aus. Bleibt nur der Inhalt, falls sich der überhaupt von der Form abstrahieren lässt. Während Internationale Solidarität, Häuserkampf, die Anti-KKW-Bewegung und Anti-Militarismus in den 80ern die vorherrschenden Sujets waren, gibt es heute kein dominantes Thema mehr, ein Feind auf der anderen Seite ist nur noch selten (an)greifbar. Dort die graue, übermächtige Industrie, hier die kleinen, putzigen Bauern, solche Schwarzweißmalerei in Bunt entlockt dem heutigen Betrachter nur noch ein Lächeln. Und doch: Das Plakat hält sich weiterhin wacker. Mehr aufs Ereignis bezogen als früher, muss es sich es ständig ein neues Zielpublikum suchen. Dabei ist ein Unterschied zu früher eklatant: Der öffentliche Raum ist umkämpfter denn je.
- Ausstellungseröffnung mit Vortrag heute um 20 Uhr im Freiburger Jos Fritz Café, Wilhelmstr. 15. Anschließend spielt die Garagenrockband The Cockroaches.

zum Anfang

Michael Gassmann
Der Kampf der Schönheit mit der Politik / Die BRD und ihr Protestplakat: Eine Ausstellung in Freiburg
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.06.2002, Seite 46

Wenn man einmal das Wirken des Zahns der Zeit dort beobachten möchte, wo er viele Tränen getrocknet hat und über Wunden Gras wachsen ließ, dann sollte man Freiburgs Viertel "Im Grün" besuchen. Hier tobte einst der Häuserkampf. Heute findet man noch gelegentlich an den Wänden Kleinstplakate, die vor Bespitzelung durch die "Bullen" warnen, aber sonst ist es ruhig. Sehr ruhig, was nicht zuletzt an dem Altersheim liegt, das man dort gebaut hat.
Die Senioren teilen sich das Areal mit einer selbstverwalteten Kommune, die in einer ehemaligen Fabrik zusammen mit freien Kulturinitiativen untergekommen ist. Anfang der Achtziger trennten hier Natodrahtrollen die Reviere ab. Am heftigsten umkämpft war die Wilhelmstraße, deren Haus Nummer 36 als "Willy 36" zum Symbol des Kampfes gegen die Spekulanten wurde. Auf dem Balkon soll sein letzter Bewohner rauchend das muntere Treiben auf der Straße beobachtet haben. Dabei hatte er auch eine Freiburger Institution auf der anderen Straßenseite im Blick: Jos Fritz, Buchhandlung und Café und heute noch Kraftzentrum des Viertels.
Dort ist zur Zeit eine kleine Ausstellung zu sehen, die von einer Publikation des Berliner Verlags "Assoziation A" inspiriert wurde: "vorwärts bis zum nieder mit - dreißig Jahre Plakate unkontrollierter Bewegungen". Organisiert wurde sie vom Freiburger Archiv für soziale Bewegungen, das direkt gegenüber dem Café in der "Spechtpassage" seinen romantischen Sitz hat. Das gleichnamige Buch, das der Schau den Anlaß bietet, ist alles andere als unkontrolliert, sondern vereinigt in erstklassiger Reproduktion und im ordnenden Rahmen einer Fülle von Textbeiträgen Plakate von außerparlamentarischen, Antifa-, Antira-, Schwulen-, Lesben-, Frauenbewegungs-, Anti-AKW-, ökologisch-alternativen und diversen K-Gruppen. Auf einer beiliegenden CD-Rom sind überdies weit mehr als achttausend Plakate gespeichert. Es war also ziemlich viel los in der BRD. Daß mehr los war als ist, kann man auch dem Tonfall der Beiträge entnehmen, der bei den zahlreichen Autoren zwischen mildem Spott, sanfter Ironie, gelegentlich auch verglimmender Kampfphrasenbildung changiert.
Immerhin aber enthält der Band auch eine Anleitung zur Gestaltung guter Plakate, damit es weitergehen kann. Wer die Ausstellung im Halbdunkel des Cafés betrachtet und das Buch durchblättert, stellt fest, daß diese auch dringend nötig ist. Denn aus der Masse der Produktion ragen nur wenige schöne und intelligente heraus. Viele Plakate quellen über vor Text, dessen Schriftgröße sich nicht unbedingt an der Bedeutungshierarchie orientiert. Amateurfotos sollen Authentizität verbürgen. Die Blätter sind vollgestopft mit Emblemen der verschiedensten Gruppen, geballten Fäusten oder Äxten zum Beispiel. Das Ergebnis ist meist völlige Unübersichtlichkeit. Dieser vernichtende ästhetische Befund betrifft das Posterschaffen aller Gruppierungen. Man kann diese Plakate natürlich als Kampfansage an die "bürgerliche Ästhetik" interpretieren. Man kann sie aber auch als Ausdruck mangelnder Reflexion betrachten - darüber, was überhaupt mit einem Plakat erreicht werden kann und an wen es sich richtet.
Wer Plakate klebt, wendet sich üblicherweise an eine Öffentlichkeit, die er bislang nicht erreicht hat. Plakatierte Manifeste (Kampf dem. . ., Nieder mit. . .) richten sich an einen Personenkreis, der ohnehin schon der gleichen Meinung und in der Regel bereits informiert ist. Sie scheinen um etwas zu werben, kanzeln aber letztlich ab. Damit spiegeln sie die Situation einer Szene, die zur Weltrevolution will, aber in - häufig verfeindeten - Grüppchen operiert.
Gute Plakate spielen mit Assoziationen - entweder um eine einfache Botschaft komplex erscheinen zu lassen oder um eine komplexe Botschaft vereinfacht übermitteln zu können. Solange Protestplakate zum Zwecke der Image-Beschmutzung professionelle Werbung instrumentalisieren, indem sie deren Plakate verfremden (wie es mit der Lufthansa-Werbung zum Protest gegen Abschiebungen geschah), profitieren sie auch vom Geschick der angefeindeten Werbung. Sind sie auf sich gestellt, ist das Verhältnis von Botschaft und graphischer Umsetzung meist eins zu eins: So simpel wie es dort steht, ist es auch gemeint. Bei der Parole "Tod dem Kapitalismus" denkt man eben nicht an die vielen Facetten der komplexen Lebenswirklichkeit.

Jos-Fritz-Café, Wilhelmstraße 15, bis Anfang Juli

zum Anfang


Klaus Viehmann
Anplacken!
Freitag / Die Ost-West-Wochenzeitung 23.8.2002

Politische Plakate und ihre Geschichten Die kleine Gruppe HKS 13, benannt nach der im Druckgewerbe üblichen Bezeichnung für eine knallrote Offsetfarbe, hat vor vier Jahren begonnen, Plakate politischer, autonomer und sozialer Bewegungen zu sammeln, zu fotografieren und thematisch zu erfassen. Zunächst glaubte HKS 13, kaum mehr als 1.000 Plakate finden zu können, doch mittlerweile ist der Bestand auf über 9.000 aus den vergangenen 35 Jahren angewachsen. Hier eine kleine Auswahl.
Wer macht sich schon die Mühe, trockene Diskussionspapiere oder Flugblätter von vor zehn, zwanzig Jahren nachzulesen? Und an was erinnern sie? An endlose Streitereien um Halbsätze und faule Formulierungskompromisse. Wie viel einfacher und erfreulicher ist es, alte Plakate anzusehen und sich an nächtliche Rundgänge im Kiez mit Kleistereimer und Quast zu erinnern. Manchmal mit der Sorge, beim wilden Plakatieren erwischt zu werden, ganz sicher aber mit der Vorfreude, bei Tageslicht die Früchte der nächtlichen Plackerei bewundern zu können. "Plakat" kommt übrigens wirklich von "anplacken", wie ankleben. Und wie viel schöner und interessanter ist doch eine frisch plakatierte Mauer im Vergleich zu einer frisch getünchten! Plakate sind nur sehr flüchtige Begleiter sozialer und politischer Bewegungen. Kaum sieht man sie an einer Hauswand, einem Bauzaun oder einem S-Bahn-Brückenpfeiler, schon sind sie wieder unter den aktuellen Konzerthinweisen verschwunden, vom Regen oder eilfertigen Saubermannhänden entfernt. Die wenigsten gilben friedlich im Lauf der Monate vor sich hin und erinnern den interessierten Betrachter noch länger an Veranstaltungen, Aktionen oder Ereignisse vergangener Tage. Über einen längeren Zeitraum zusammengenommen sind sie ein visueller Speicher engagierter Praxis und (linker) Geschichte. Die üblichen Plakatrollen unter dem Bett enthalten allerdings nur schwer aufdrehbare Papierwürste, die beim Betrachten zusammenschnappen und die als Plakatbeschwerer aufgelegte Kaffeetassen schnell mal auf den Teppich befördern. Und manche Sammlungen bestehen aus der halben Auflage eines Plakates, weil man es einfach nicht geschafft hat, sie noch zu verteilen oder gar zu kleben - höchstens ihre unbedruckte Rückseite ist für malwütige Kindergartenbelegschaften noch von Interesse. Die wenigsten besorgen sich irgendwann Planschränke oder große Mappen für ihre Plakatschätze, viel öfter wandern alte Plakate bei Umzügen oder nach dem Ende der eigenen politischen Aktivitäten auf den Müll. Nehmen wir die Spur der anarchisch geklebten Plakate bis zurück in die sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts auf! Die Poster der APO erzählen Geschichte(n), die die heutigen PlakatkleberInnen kaum mehr kennen. Zum Beispiel diese: In der Nacht zum 4. Februar 1966 wurde von Leuten aus dem Vietnam-Arbeitskreis des SDS in sieben Berliner Bezirken und an der Freien Universität zweifarbig gedruckte Plakate im A2-Überformat geklebt, auf denen eine "Internationale Befreiungsfront" auch heute noch bedenkenswerte Aussagen zur internationalen Situation verbreitete. Leider wurden fünf PlakatkleberInnen von der Polizei erwischt, und das löste im Berliner SDS anhaltende Debatten aus. Von älteren SDS-Mitgliedern wurde dem Plakat "schlechter Satzbau" vorgeworfen, und es wurde sogar überlegt, die Delinquenten aus dem Verband auszuschließen. Auf einem danach angesetzten Jour fixe des SDS zum Thema "Legalität und Illegalität", an dem 150 SDS-Mitglieder teilnahmen, wurde acht lange Stunden auch über die Bedeutung jener Plakataktion diskutiert. Die Plakate der Chile-Solidarität nach dem Militärputsch 1973 oder die der Anti-Apartheidbewegung, der vielleicht ältesten aber auch erfolgreichsten Solidaritätsbewegung, erzählen von den internationalistischen Anstrengungen für eine gerechtere Welt - Vorläufer der heutigen "Anti-Globalisierungsbewegung", deren Plakate aktuell immer wieder zu finden sind. Kritisch lässt sich die Abbildung des in Genua getöteten Carlo Giuliani betrachten. Sein Gesicht ist nicht erkennbar, alleingelassen liegt er vor heranstürmenden schwer gerüsteten Polizeitruppen da. Ist solch ein Plakat wirklich geeignet, die Hoffnungen auf eine bessere Welt und die Erinnerung an einen - wie auch immer - von Staatsdienern erschossenen Globalisierungsgegner darzustellen? Im Unterschied dazu das berühmte Bild vom 2. Juni 1967, das den sterbenden, aber als Person erkennbaren und nicht alleingelassenen Benno Ohnesorg zeigt. Zwei Plakate, zwei Tote, zwischen denen 35 Jahre liegen. Viel subtiler agieren Plakate, die mit der Macht und Ohnmacht der Symbole spielen. Anfang November berichtete das Stuttgarter Stadtmagazin Lift: "War das ein Spaß! 1.500 Bundeswehrsoldaten wurden nicht nur mit großem Bundeswehrblasorchester und Zapfenstreich aufs deutsche Land vereidigt, sondern stilecht von drei der größten deutschen Rockbands der neunziger Jahre begleitet. Pur spielte ›Wenn ich am Boden liege, sorgst Du dafür, dass ich bald nach Kosovo fliege‹. Die politisch hyperkorrekten Kölschrocker Bap sangen ›Verdamp lang her, dat mir im Graben lagen‹, und die Scorpions spielten ›Wind of Change‹ mit der Bundeswehrtanzkapelle Günther Noris. Problem: Nichts stimmte." Was war passiert? In jenem Herbst wollten Bundeswehr und CDU-Landesregierung rund um das Stuttgarter Schloss 1.500 Rekruten öffentlich geloben lassen. Die GelöbnisgegnerInnen führten einen regelrechten Symbolkampf, in dessen Verlauf auch ein Plakat auftauchte, das "im Rahmen der Gelöbnisfeier" ein Open-Air-Freiluftkonzert von Pur, Scorpions und Bap ankündigte. Als Veranstalter wurden der SWR 3, die Stadt Stuttgart und die Bundeswehr genannt, der Eintritt sollte frei sein. Das Plakat machte Furore und der Staatsapparat vermutete eine "perfide Taktik der Autonomen": Sie würden versuchen, eine große Zahl harmloser Schlagerfans anzulocken, um dann aus dieser Menschenansammlung heraus gewalttätige Angriffe zu unternehmen. Dieses Plakat und weitere Fake-Aktionen trieben die Gelöbniskosten auf 500.000 Mark und die Stuttgarter Nachrichten vom 19.10.1999 zitierten erboste Zuschauer: "Man könne nicht vom öffentlichen Gelöbnis sprechen und die Zuschauer dann 100 Meter hinter Absperrungen verbannen". Ein gelungener Fake kann wirkungsvoll mit falschen Informationen wahre Ereignisse provozieren. Viele Plakate werben allerdings für sehr reale Musikveranstaltungen und Parties, und gerade die der Schwulen- oder Lesben-Bewegung haben oft einen politischen Subtext, da sie sich immer Orte schaffen müssen, die jenseits der heteronormalen einen (Frei)Raum für eigene kulturelle und politische Praxenbilden. Die Plakatgeschichten dieser Bewegungen unterschieden sich oft deutlich in der Gestaltung und den Parolen von denen der (heterosexuellen) linken oder sozialen Bewegungen. Das reicht von Aufrufen gegen den Paragraphen 218 bis hin zu Queer-Parties in einem angesagten Club wie dem SO 36 in Berlin-Kreuzberg. Ganz anders die Plakate der Marxismus-Leninismus-Bewegung, die heute auch nicht unbedingt schöner wirken als vor 30 Jahren, aber allen jüngeren Menschen zeigen, was ihnen im heutigen Straßenbild erspart bleibt. Solche Plakate sind in privaten Sammlungen übrigens nur schwer zu finden, da die meisten alten ML-AktivistInnen ihre Vergangenheit samt Plakaten rückstandslos entsorgt haben ... Auch die heutigen Grünen werden kaum Interesse daran haben, ihre eigenen alten Plakate heute noch vorgehalten zu bekommen - allzu deutlich lassen sie den Verfall der pazifistischen und ökologischen Ideale erkennen. Zwischen ihrer plakativen Abrüstungsforderung und dem "Drei Liter Panzer" liegen 20 Jahre und ein steiler Abstieg. (Wobei das Plakat zum "Drei Liter Panzer" wie alle guten Fakes so treffend ist, dass es kaum als eine Fälschung auffällt). Bleibt zu hoffen, dass in Zukunft auch dann gute Plakate gemacht werden, wenn die Politik nicht ganz so gut oder weit sein sollte. Auf dass wir mit offenen Augen durch die Straßen gehen und uns an sinnvoll plakatierten Wänden erfreuen können.

Der Band enthält 800 vierfarbig abgebildete Plakate von den 1960er Jahren bis zur Gegenwart und eine CD-ROM mit insgesamt 8.300 Bilddateien (Verlag Assoziation A, 288 S., 25,50 Euro). - Ein erstes von HKS 13 herausgegebenes Plakatbuch hoch die kampf dem mit Plakaten der achtziger und neunziger Jahre ist mittlerweile vergriffen.

zum Anfang