Die von uns mit Titel, Ort, Datum und Größe erfassten
und digitalisierten über 8.000 Plakate stellen einen enormen Fundus zeitgeschichtlicher
Dokumente aus der Geschichte der linken emanzipatorischen Bewegungen in der
Bundesrepublik dar; er reicht von einem Uni-Plakat von 1963 bis zu Plakaten
gegen den neuesten Krieg, der nebenbei bemerkt dazu führte, dass manche
Artikel in diesem Buch am Rande von Demonstrationen oder Treffen besprochen
wurden. Die meisten der von uns erfassten Plakate liegen nun im Archiv der
sozialen Bewegungen in der Roten Flora in Hamburg und im Papiertiger-Archiv
in Berlin-Kreuzberg. Im Archiv der Roten Flora ergab sich zudem der exzellente
Glücksfall, dass der durch den großen Brand im Dezember 1995 komplett
verloren geglaubte Plakatbestand im letzten Jahr in einem übelriechenden,
löschwassergetränkten Haufen wieder aufgefunden wurde. Wer also
bei manchen Plakaten in diesem Buch den Eindruck bekommt, dass die so aussehen,
als seien sie am Rande angekokelt und so gewellt, als hätten sie im Wasser
gelegen der/die hat Recht. Wo es ging, haben wir retuschiert, wo nicht,
war uns das Plakat wichtiger als die Exaktheit der Farben oder Papierränder.
Auf jeden Fall war die Digitalisierung dieses stark angegriffenen Plakatbestandes
zugleich seine Sicherung für kommende plakatwütige Generationen.
Eine andere Frage ist es natürlich, wie vollständig dieses Archiv
die Plakate aus den Bewegungen erfasst. Auch nach über drei langen Jahren
engagierter Suche, freundlichen Nachfragen allerorten und mittlerweile halbwegs
geschickter Recherche wissen wir nicht annähernd, wie komplett unsere
Sammlung ist. Je mehr wir »buddelten«, desto mehr Plakate, von
denen wir noch nie gehört, geschweige denn etwas gesehen hatten, fanden
wir. Sicher wissen wir allerdings, dass es zusätzlich zu den vielen außerordentlich
hilfsbereiten Infoläden und Bewegungsarchiven weitere interessante Archive
und Sammlungen gibt zu manchen wurde uns der Zugang verweigert oder
nur sehr eingeschränkt gewährt. In einem Fall hätten wir 50
DM für das Anfertigen eines Dias pro Plakat bezahlen müssen ...
Da uns in diesem Bestand ca. 400 Plakate interessiert hätten, kann sich
jede/r selbst ausrechnen, was das gekostet hätte. Die von uns in der
Einleitung des letzten Buches geäußerte Auffassung, dass Plakate
auch »ein Stück kostenfreier Literatur« seien, müssen
wir leider präzisieren: Plakate aus lange vergangenen Zeitetappen sind
ein knappes Gut, bei dem wie bei jeder anderen Ware hier und da gehofft wird,
einen guten Preis zu erzielen. Heute können wir hier feststellen, dass
dieses Buch und die digitale Plakatsammlung im wahrsten Sinne des Wortes ein
Arme-Leute-Archiv der in mancherlei Hinsicht auch oft genug armen Bewegungen
ist.
Wer das Inhaltsverzeichnis dieses Buches aufmerksam studiert, wird schnell
bemerken, dass wir die Beiträge wie einen großen bunten Blumenstrauß
gemischt haben. Dennoch lassen sich die Beiträge nach verschiedenen Merkmalen
sortieren. Spätestens unser nimmermüdes Engagement und die große
Freude bei dem Stöbern in neuen Plakatbeständen haben uns buchstäblich
vor Augen geführt, dass wir einige Bewegungen der letzten drei Jahrzehnte
im ersten Plakatbuch nicht gebührend gewürdigt haben. Zwei vernachlässigten
»Teilbereichsbewegungen« widmen sich die Artikel von Jens Holst
über die Plakate der Chile-Solidarität und die ziemlich verschiedenen
dort aktiven Gruppen, oder der sehr persönlich gehaltene Beitrag von
Dorothea Kerschgens über den bundesdeutschen Zweig der globalen Anti-Apartheid-Bewegung,
der von den ersten Plakaten 1973 bis über das Ende des Apartheidsregimes
hinausreicht. Andere Artikel reflektieren sogenannte Querschnittsfragen, die
sich den AktivistInnen in allen emanzipatorischen Bewegungen gestellt haben
und vielleicht wieder stellen werden. Dazu gehört der Beitrag von Lotte
Atemlos über Solidarität und deren Metaphern sowie der der autonomen
a.f.r.i.k.a.-gruppe zu »Macht und Ohnmacht der Symbole«
und wie sie sich ganz anders verwenden lassen. Elfriede Müllers Beitrag
»...dass auschwitz nicht noch einmal sei« behandelt anhand einiger
Plakate eine umstrittene Frage linker Politik: Antisemitismus. Die Diskussionen
zwischen Autorin und Herausgebern hatten oft den Charakter eines Streitgespräches,
da es bezüglich der konkreten Geschichte der Linken und ihrer Bewertung
unterschiedliche Positionen gab. Wir verstehen den Beitrag als eine Art Unruhestiftung,
die auch in einem Plakatbuch zur Diskussion gestellt werden soll. Volker Woltersdorffs
»Wie male ich einen Schwulen?« und Esther López »Watch
out here come the Grrrlz!« über Plakate der Lesbenbewegung thematisieren
Plakate von Bewegungen, die sich nicht nur über gesellschaftliche Konfrontation
und staatliche oder andere Diskriminierung konstituieren, sondern die auch
über einen starken identitätspolitischen und subkulturellen Aspekt
verfügen. Die u.a. hier vertretenen Party-Plakate spiegeln das wider
und sind eigentlich im Grenzbereich dessen angesiedelt, was üblicherweise
als politisches Plakat definiert wird. Ihre Präsentation macht aber deutliche
Überspieleffekte in die Plakatkultur in konventionell-politischen Bewegungen
sichtbar. Auch der Aufsatz von Michael Koltan, »Die Band steht in der
Ecke ...«, erinnert uns daran, wie eng der Zusammenhang zwischen Politik
und subkultureller Betätigung, hier der Folk-, Punk- oder Pop-Musik war
und ist. Ohne diesen Zusammenhang würde es wahrscheinlich noch weniger
Gegen-Öffentlichkeiten und somit erheblich weniger politische Plakate
geben.
Eher zeitgeschichtlich sind andere Beiträge angelegt. Wir haben uns in
»Die Revolution stirbt nicht an Bleivergiftung« mit den Plakaten
der APO beschäftigt und Dave Bowman mit einer nachfolgenden Phase der
BRD-Geschichte: »Holger, der Kampf geht weiter!«. Michael Steffens
»Weimarer Flaschenpost« ist mit Plakaten der ML-Bewegung bebildert,
die heute auch nicht unbedingt schöner wirken als vor 30 Jahren.
Zwei von uns, die die siebziger bzw. achtziger Jahre aus eigenem Erleben kennen,
haben sich unter dem von Malcom X entliehenen Titel »By any means necessary«
die grafische Visualisierung von Gewalt und Militanz auf Plakaten angesehen.
Von den achtziger Jahren bis heute streift der Beitrag von Trinity Sojagen,
»Gentechnik interessiert uns brennend«, durch Plakate gegen
die Gen- und Biotechnologie. Er füllt eine unseres Erachtens bedeutsame
Lücke in der Dokumentation eines politischen Engagements, das in der
letzten Zeit wieder zunehmend aufgegriffen zu werden scheint.
Ein Sonderfall ist »Vor allem antiplakativ«. Hier ist das Verbindende
der abgedruckten Plakate die herstellende Gruppe: blutdruck. Ihre Plakatpraxis
ist sicher nicht untypisch und bietet einen Blick hinter die Kulissen
beziehungsweise hinter den Siebdruckrahmen. Einen anderen Blick, nämlich
zurück in eine linke Druckerei im Westberlin der siebziger Jahre, erlaubt
das Gespräch mit dem ehemaligen Agit-Drucker Gerdi Foss, illustriert
ist es mit einigen zeitgenössischen Plakaten. Die »2/3« von
HKS 13, die schon (ziemlich unterschiedliche) Studien im Knast betreiben konnten,
nutzten diese beim Verfassen eines Beitrages über Knast-Plakate, die
wir im ersten Buch nicht berücksichtigt hatten. Viele Anregungen für
diesen Artikel bekamen sie bei Gesprächen mit ehemaligen RedakteurInnen
der (Anti-)Knast-Zeitung durchblick.
Mit dem etwas unverschämten Arbeitstitel »Plakatkultur in der linksradikalen
Provinz« baten wir in Düsseldorf, Hannover und Nürnberg um
Beiträge. Wir wollten die im letzten Plakatbuch dominierende Präsentationsperspektive
der großen Städte Hamburg, Frankfurt und Berlin etwas verlassen.
Ralf Berger hat unseren Arbeitstitel übernommen nur um ihn am
Beispiel Düsseldorfs zu widerlegen , und auch die IG Geschichte
belegt für Hannover eine Bewegungsgeschichte im Spiegel ihrer Plakate.
Aus Nürnberg kam »'ne homestory«, die uns Berlinern und Hamburgern
nachweist, dass in Bayern (jedenfalls in Franken) Bewegungen existieren und
politische Plakate produziert werden.
Kurz vor Redaktionsschluss fragten wir Dario Azzellini nach einem Artikel
zu den Plakaten der »Antiglobalisierungsbewegung«, den er zwischen
Urlaub und geplatztem Motorblock in Rekordzeit ablieferte. Die Proteste gegen
den G8 in Genua und ihre Wahrnehmung durch die Linke sind der nahe liegende
Ausgangspunkt, aber es geht um mehr.
Christoph Villiger stellt in »Kämpft Freunde, kämpft!«
Plakate der Hausbesetzerbewegung der frühen achtziger Jahre solchen Plakaten
gegenüber, die Mitte der Neunziger das Engagement im Kampf gegen Armut
befördern sollen. Markus Mohr wollte sich nicht die Gelegenheit entgehen
lassen, eine Kurzuntersuchung von Plakaten der Partei »Die Grünen«
vorzunehmen. Das Ergebnis man ahnt es fiel wenig schmeichelhaft
für die Untersuchten aus.
In »Das Endspiel steht noch aus!« geht es um Sport-Plakate, die
die ganz unterschiedlich sportinteressierten Herausgeber von der Olympiade
1972 bis zu der in Sydney 2000 zusammengestellt haben. Daran schließt
sich ein kleiner Rückblick auf einen Artikel im letzten Plakatbuch an:
»Freiheit sollte süßlich sein«. Wir erfahren aus einem
Zeitungsinterview die Wahrheit über die Entstehungsgeschichte des Klassikers
»Wilde Vögel fliegen ...«.
Da dieses Buch neben durchaus beabsichtigten unterhaltsamen Aspekten die teilweise
plakatklebrige Praxis nicht aus den Augen verlieren soll, haben wir den Grafikern
Sandy k. und Rainer M. die denkbar einfache Frage gestellt »Wie mache
ich ein gutes Plakat?«. Sie haben uns mit einer ausführlichen und
für unsere Zwecke angemessen komplexen Bastelanleitung geantwortet. Bewusst
bietet der Artikel keine fertigen Rezepte, er wirkt aber wie ein kleiner Werkzeugkasten
mit gedanklichen und illustrativen Anregungen für das Gestalten und Betrachten
von Plakaten. Damit fördert er eine der zentralen Absichten dieses Plakatbuches:
Wir meinen, dass Plakatgestaltung erstens politisches Kampfterrain ist, zweitens
aber auch in Zukunft selbst dann »gute Plakate« gemacht werden
sollen, wenn die »Politik« mal nicht ganz so gut oder weit sein
sollte.
Damit weder dieses Plakatbuch noch die darin dokumentierten Plakate national
beschränkt bleiben, unternimmt Sebastian Haunss schließlich eine
Reise quer über den Globus und stellt einen winzigen Ausschnitt der in
anderen Ländern produzierten und an die Häuserwände geklebten
politischen Plakate vor. Hier war das Quellen- und Zuordnungsproblem für
uns als tatsächlich »fremden Betrachtern« noch größer
als bei den im hiesigen Kontext hergestellten Plakaten. Die Plakat-Reise führt
Sebastian durch so unterschiedliche Länder wie die USA, Frankreich, Italien,
Dänemark, die Schweiz und das Baskenland bis nach China.
Am Ende dieses Bandes finden sich die AutorInnenangaben, so wie sie sich selbst
beschrieben haben, eine Danksagung an die, die sie sich wirklich verdient
haben, sowie einige Hinweise zur beiliegenden CD-ROM und wie mit ihr Reisen
durch die Plakatwelten der unkontrollierten Bewegungen in den letzten 30 Jahren
unternommen werden können.
Zum Schluss
Die Arbeit an diesem Plakatbuch hat zuweilen den Spaß an der Freude,
ohne den ein so ausuferndes und unbezahltes Engagement nicht
auskommt, in den dunklen Schatten massiver Arbeitsbelastungen gestellt. Es
war selbst für so ein politisches Projekt wie dieses Buch manchmal zu
viel nervige Arbeit, die wir so weder wiederholen können noch wiederholen
wollen. Und das heißt ganz konkret: Nie wieder tage- und wochenlang
fotografierend vor dem kreischenden Plakatwandunterdruckstaubsauger im heißen
Scheinwerferlicht stehen. Nie wieder Tausende Dateien auf Vollständigkeit,
richtige Verschlagwortung und Dubletten hin überprüfen müssen
und zu wissen, dass immer noch Fehler drin sind. Nie wieder vor Abgabeschluss
von Texten und Plakaten Druck machen müssen. Nie wieder unter Zeitdruck
nächtelang durcharbeiten. Und nie wieder hinter möglichen GeldgeberInnen
hinterherlaufen müssen, um Archivrundreisen, Tonerkartuschen oder zusätzliche
Festplatten bezahlen zu können. (Für Technikfreaks: Die Rohdatenmenge
dieses Plakatbuches und unserer digitalen Sammlung erreicht inklusive Sicherungskopien
allmählich den dreistelligen Gigabytebereich und ist auf unseren ziemlich
normalen Rechnern kaum noch zu bearbeiten.)
Und trotzdem: Gefreut haben wir uns über positive Reaktionen auf unsere
Arbeit, und vor allem über die Leute, die uns in ihren Archiven oder
zu Hause aufnahmen und bewirteten, die uns halfen seltene Plakate zu finden
und die wie wir an politischen Plakaten aus politischen und nicht aus
finanziellen Gründen interessiert sind. In unserer Danksagung
haben wir nicht alle namentlich genannt.
Noch einmal zum Geld, auch wenn wir langfristig natürlich für dessen
Abschaffung sind. 49,80 DM ist für dieses Buch, was niemand finanziell
subventionieren wollte oder konnte, betriebswirtschaftlich schlicht verrückt.
Das gilt für die AutorInnen, die kein Honorar erhalten, für den
Verlag, der wieder mal fast nichts verdienen wird (um andere, schlechter laufende
Bücher finanzieren zu können), für die Bewegungsarchive, die
uns alle Plakate im Austausch gegen ein paar CD-ROM mit ihren digitalisierten
Plakaten, also praktisch kostenlos, überlassen haben. Andererseits sind
fast 50 DM für ein Buch die finanzielle Grenze bei vielen, sicher auch
bei denen, die heute wild plakatieren gehen.
Wie auch immer, wir wünschen uns, dass dieses Buch viele LeserInnen und
BetrachterInnen findet. Hoffentlich tragen noch in der Zukunft die aus dem
Erbe der hier porträtierten Bewegungen und Gruppen verbreiteten Plakate
dazu bei, dass die herrschenden Zeiten nicht nur andere, sondern bessere werden.
Selbstverständlich widmen wir auch dieses Buch den unbekannten »wilden«
PlakatekleberInnen.
Sebastian Haunss/Markus Mohr/Klaus Viehmann
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